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Buch "Die kalte Sonne" Vahrenholts krude Thesen zum Klimawandel

Es klingt nach Umsturz und Revolte: Die Klimakatastrophe fällt aus, behauptet der RWE-Manager Fritz Vahrenholt in seinem neuen Buch "Die kalte Sonne". Warum er irrt.
Ein Gastkommentar von Carel Mohn

Rollt eine wissenschaftliche Sensation auf Deutschland zu? Nimmt man ernst, was die beiden RWE -Manager Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning in ihrem neuen Buch zum Klimawandel behaupten, dann müssen zumindest in den Umwelt- und Klimawissenschaften mehrere Jahrzehnte Forschungsgeschichte neu geschrieben werden. Nach jahrelanger Arbeit haben die beiden Freizeitforscher herausgefunden: Die Erderwärmung ist zum Stillstand gekommen. Falsch, so die Autoren, sei auch der Kernbefund der weltweiten Forschungscommunity, vom Menschen emittierte Treibhausgase wie Kohlendioxid führten zu einem gefährlichen Klimawandel.

Zum Buch "Die kalte Sonne"

Der frühere Hamburger Umweltsenator und heutige RWE-Manager Fritz Vahrenholt zweifelt in einem gemeinsam mit dem für den Ölkonzern RWE Dea tätigen Wissenschafter Sebastian Lüning herausgegebenen Buch alle bisherigen Prognosen über die nahende Klimakatastrophe an. So werde die Sonne in den nächsten Jahrzehnten kälter, die Aktivität nehme ab, schreibt er in "Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet".

Der menschengemachte Einfluss auf das Klima durch Treibhausgas-Ausstöße werde maßlos überschätzt und der Einfluss der Sonne unterschätzt. Die nächsten Jahrzehnte werde es aufgrund natürlicher Ursachen wie der veränderten Sonnenstrahlung zu einer leichten Abkühlung kommen.

Die jüngsten Wärmerekorde hingen mit einer Sonnenerwärmung zusammen, die nun an ein Ende komme. Selbst bei steigenden CO2-Emissionen werde die Erwärmung in diesem Jahrhundert daher zwei Grad Celsius nicht überschreiten, so Vahrenholt. Von führenden Klimaforschern werden die Thesen zurückgewiesen.
DPA

In der Tat, es klingt sensationell, was die beiden selbst ernannten Aufklärer wider den Mainstream meinen entdeckt zu haben, und zwar jenseits der etablierten Wissenschaftscommunity. Noch dazu als Hobbyforscher, ist das Buch laut RWE doch in ihrer Freizeit entstanden. Wenn es zuträfe, müssten in Deutschland Forschungsinstitute im Dutzend schließen.

Doch Sensationen, vor allem solche, die damit vermarktet werden, den wissenschaftlichen Mainstream über den Haufen zu werfen, sind erklärungsbedürftig. So fragt sich der klimawissenschaftliche Laie: Wie kann es sein, dass sämtliche deutschen Klimaforschungsinstitute - von Max Planck über Helmholtz bis Leibniz - die Befunde des Weltklimarats über einen anthropogenen Klimawandel nicht nur ausdrücklich stützen, sondern auch durch Hunderte von Veröffentlichungen zu diesem Forschungsstand beigetragen haben? Und wie kommt es, dass hoch angesehene Organisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Leopoldina mitmachen bei gefährlicher "Schwarz-Weiß-Malerei", "Simplifizierungen" und "defizitären Konsensfindungsprozessen"?

Simple Antworten

Die Antwort der beiden Autoren ist einfach, um nicht zu sagen: simpel. Vom Mainstream der Klimaforschung abweichende Meinungen? Werden unterdrückt, mit einem faktischen Publikationsverbot und der Nichterteilung von Forschungsgeldern bestraft. Die Forschung zu natürlichen, nicht menschengemachten Ursachen von Klimaschwankungen? Darf in Deutschland nicht stattfinden. Angebliche Fehler in Berichten des Weltklimarats? Treten auf, weil sonst die IPCC-Modelle nicht passen würden. Warum es so wenige Wissenschaftler gibt, die die Thesen der Autoren unterstützen?

Weil "man es zu spüren bekommt, wenn man nicht dem Mainstream angehört". Die aufklärerische Pose, das verschwörungstheoretische Raunen - das erinnert auffällig an den Sommer 2011, als sich Deutschland an der Rhetorik eines Mannes abarbeitete, der suggerierte, von Politik und Wissenschaft lange unterdrückte Fakten endlich offen auf den Tisch zu legen. Ist im Winter 2012 Deutschland nun fällig für den Klima-Sarrazin?

Tatsächlich kommen Vahrenholts Klimathesen zu einem Zeitpunkt auf den Markt, an dem heftiger Streit in der Tat nottut. Dieser Streit muss allerdings nicht über die Klimaforschung geführt werden - hier liegen die zentralen Befunde in geradezu bestürzender Eindeutigkeit offen zutage. Man sollte vielmehr über die Energiepolitik streiten, und zwar heftig und mit Leidenschaft. Das liegt daran, dass für viele mit der Energiewende aufgeworfene Fragen erst noch politisch umsetzbare Lösungen zu suchen sind. Und es liegt auch daran, dass harte ökonomische Interessen tangiert sind und es neben vielen Gewinnern der Energiewende auch ein paar eindeutige Verlierer geben wird.

Krude Verschwörungstheorien

Einige der zentralen energiepolitischen Akteure traf die Energiewende schlicht unvorbereitet, und die neue politische Großwetterlage bedeutete zunächst Sprachlosigkeit und Neuorientierung. Einer dieser Akteure ist RWE: Arbeitgeber von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning und, nebenbei, Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern. Dass nun ausgerechnet dieses Unternehmen seine energiepolitische Glaubwürdigkeit mit kruden Verschwörungstheorien gefährdet, dürfte zumindest manchen Aktionär aufhorchen lassen.

Sicher, RWE hat sich die klimapolitischen Positionen von Fritz Vahrenholt bisher nicht offiziell zu eigen gemacht und die Veröffentlichung nach eigener Darstellung auch nicht gefördert. Andererseits war im Unternehmen seit Langem bekannt, mit welchen abseitigen Thesen die beiden RWE-Mitarbeiter aufwarten würden. Frage nach der Seriosität von RWE

Wenn also mit Vahrenholt der Chef der RWE-Konzerntochter Innogy ein Buch schreibt, das - wie in den USA zu beobachten - auf eine hemmungslose Politisierung von Wissenschaft und Forschung abzielt, dann lässt das Fragen nach der Seriosität von RWE aufkommen. Und es führt zu der Frage, wie glaubwürdig die Bekundungen des Unternehmens zum Klimaschutz sind. "Die Gestaltung der zukünftigen Energieversorgung ist eine große Herausforderung, die wir annehmen: Bis 2050 soll die Stromversorgung in Europa CO2-neutral sein." So steht es im Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns. Zu der These einer fehlgeleiteten Klimaschutzpolitik passen solche Worte kaum.

Und noch eine Festlegung trifft der Nachhaltigkeitsbericht. "Verantwortungsvolles Handeln erwarten unsere Stakeholder von uns auch jenseits der Unternehmensgrenzen." Würde man diesen richtigen Anspruch in den Debattenalltag übersetzen, dann hieße verantwortungsvolles Handeln: Hart an dem Ziel zu arbeiten, Europa Schritt für Schritt auf den Weg zu mehr Energieeffizienz, mehr Erneuerbaren und einer CO2-neutralen Stromversorgung zu bringen. Die Energiewende als Innovationschance zu begreifen und mit konstruktiven Beiträgen voranzubringen. Und die eigene Reputation vor Windmachern zu schützen.

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