Messerangriff auf Vierjährige : „Ich hatte noch keinen Fall, der vergleichbar wäre“
Der 34 Jahre alte niederländische Staatsbürger, der am vergangenen Mittwoch im baden-württembergischen Wangen ein vier Jahre altes Mädchen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt hat, war der Polizei zuvor mehrfach aufgefallen. Das bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Ravensburg der F.A.Z..
Die Polizei in Ravensburg wurde auf den Mann erstmals Mitte März aufmerksam, als er wegen einfacher Körperverletzung vernommen wurde. Am 30. März demontierte der Mann dann Sichtschutzelemente an einem Bauzaun und an Containern. Die Polizei erteilte ihm daraufhin einen Platzverweis, den er ignorierte.
Während im ersten Fall die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen des Körperverletzungsdelikts eröffnete, ist beim zweiten Fall bis heute ungeklärt, ob eine Strafnorm verletzt wurde und der Tatbestand der Sachbeschädigung möglicherweise erfüllt wurde. Die Akte aus dem ersten Ermittlungsverfahren lag der Staatsanwaltschaft jedenfalls noch nicht vor, als der Mann auf der Zeppelinstraße im Gewerbegebiet von Wangen das Mädchen attackierte. Der Fall wurde nicht als sonderlich vordringlich behandelt, weil es sich um keine Haftsache handelte.
Mädchen ist nicht mehr in Lebensgefahr
Nach Augenzeugenberichten soll der Mann das Mädchen in einem Markt der Handelskette Norma angegriffen haben. Nach den bisherigen Ermittlungen kannten sich die Mutter, die zum Einkaufen in den Markt gegangen war, und der mutmaßliche Täter nicht. Das stark blutende Kind musste notfallmedizinisch versorgt werden und ist nicht mehr in Lebensgefahr. Das beherzte Eingreifen eines Zeugen im Supermarkt führte zur schnellen Festnahme des Täters.
„Wir ermitteln wegen versuchtem Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Ob die Ermittlungsakte zu spät an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden sei, wollte sie nicht bewerten. Per Gericht wurde ein Unterbringungsbeschluss erwirkt, um den psychisch kranken Tatverdächtigen in einer Klinik unterzubringen.
Der Wangener Oberbürgermeister Michael Lang (parteilos) sagte: „Die Bürgerinnen und Bürger in Wangen sind bestürzt, dass ein erwachsener Mann auf ein argloses Kind losgehen kann. Das macht uns fassungslos.“ Optimistisch stimmten ihn die zahlreichen Hilfsangebote für die Familie. Das sei überwältigend, auch wenn er diese Angebote zum Schutz der Privatsphäre der Familie nur stellvertretend annehmen und weitergeben könne.
Todesstrafe für Verdächtigen gefordert
Weil der Mann in Syrien geboren ist, versucht die AfD den Fall zu skandalisieren. Auf der Internetseite „AfD Kompakt“ heißt es: „Auch wenn viele Medien und etablierte Parteien uns in völliger Realitätsverleugnung etwas anderes weismachen wollen: Taten wie diese gehörten früher nicht zum Alltag in Deutschland.“
Die Polizei bekam viele Hassmails, in denen etwa die Todesstrafe für den Verdächtigen gefordert wurde. Zur Information der Bürger baute die Polizei am Freitag auf dem Marktplatz der oberschwäbischen Stadt ein Infomobil auf. Viele Bürgerinnen und Bürger wollten Genaueres zum Tathergang wissen und baten auch um Verhaltenstipps zur Vorsorge. Die Polizisten zeigten Verständnis für die Emotionen und rieten dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Ich bin jetzt seit 17 Jahren in der Region und hatte noch keinen Fall, der vergleichbar wäre.“
Oberbürgermeister Lang machen die hetzerischen Reaktionen, die größtenteils nicht aus der Stadt oder der Region stammten, Sorgen. „Da gibt es Menschen, die mir Krebs im Endstadium wünschen, nur weil ich ihnen natürlich keine Auskünfte über den Gesundheitszustand des Kindes geben kann“, sagte er. Für das kommende Wochenende sei wieder eine Veranstaltung unter dem Motto „Mehr Schutz für unsere Kinder“ angesagt. Es bleibe in einer offenen Gesellschaft schwierig, sich hundertprozentig vor Menschen zu schützen, über die man wenig wisse und die man nicht kenne. In Wangen leben etwa 500 Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung.
Täter soll schon vor einigen Monaten nach Wangen gekommen sein
Warum der mutmaßliche Täter ausrastete, sollen die weiteren Ermittlungen zeigen. Nach Informationen der F.A.Z. ist der Mann schon vor einigen Monaten nach Wangen im Allgäu gezogen und war dort zunächst privat bei Verwandten untergekommen. Es soll dort dann zu Konflikten gekommen sein. Schließlich wurde er obdachlos: Zunächst schlief er in der Nähe des Bahnhofs unter freiem Himmel, später baute er am Ufer des Fusses Argen ein Zelt auf. Schließlich kam er in der kommunalen Obdachlosenunterkunft in der Nähe des Norma-Supermarkts unter.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, den Fall müssten jetzt die Polizei und Staatsanwaltschaft aufklären. Im Migrationsministerium misst man dem Fall keine politische Bedeutung bei, es handele sich schließlich um einen Bürger der Europäischen Union. Rechtlich falle der wohnungslose Mann unter das Obdachlosenrecht. Anders als es Rechtsextremisten darstellten, gebe es insofern also keine Versäumnisse bei der Aufnahme oder Versorgung von Flüchtlingen. Vielmehr sei es ein schlimmer Einzelfall, der jedoch aufgrund der Freizügigkeit in der EU schwer zu verhindern sei, heißt es weiter.