"Der heimliche WHO-Chef heißt Bill Gates" – wenn ich diesen Titel heute lese, denke ich: Das ist zu scharf, zu sehr zugespitzt. Es fällt mir nicht leicht, es zuzugeben, aber ja, das "heimlich" im Titel klingt nach Verschwörungstheorie. Und manchen gefällt genau das. 

Drei Jahre nachdem mein Text erschienen ist, benutzen Menschen ihn, mit denen ich nichts zu tun haben will. Am 23. April twittert der Account von KenFM meinen Artikel, ein Portal also, das Verschwörungstheorien verbreitet. Auch Attila Hildmann scheint meinen Artikel von damals gelesen zu haben. Nur zur Erinnerung: Das ist der vegane Koch, der auf Instagram unter einen Post von Gesundheitsminister Jens Spahn schrieb: "Keiner will deine Drecksapp, deine von Gates bezahlte Zwangsimpfung und deinen geplanten Überwachungsstaat." Hildmann glaubt offensichtlich, dass die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuen Coronavirus nur ein Vorwand sind. Im Hintergrund sei die Regierung dabei, die Demokratie abzuschaffen.

Sind das Einzelfälle? Nein, fast 200.000 Mal wurde mein Artikel seit Anfang des Jahres angeklickt. Das ist für einen drei Jahre alten Text eine ganze Menge. Leserinnen und Leser weisen mich darauf hin, dass der Text ihnen von Menschen unter die Nase gehalten wird, die allerlei wirre Theorien rund um das Virus verbreiten. Mein Stück von damals hat ein Eigenleben entwickelt.

Ich halte Deutschlands Antwort auf die Pandemie für eine großartige Leistung

Seit Mitte Januar berichte ich aktuell über das neue Coronavirus und die Pandemie – so wie viele Fachautorinnen in den Wissenschaftsressorts von ZEIT und ZEIT ONLINE, aber auch Kollegen in unserer und in anderen Redaktionen, die sich den politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Aspekten dieser Pandemie nähern. An vielen Tagen arbeite ich bis in die Nacht hinein – denn seit dem Ausbruch sind Medizin- und Wissenschaftsjournalisten täglich mehr denn je gefragt, die Lage einzuordnen. Die größte globale Krise seit Langem ist beruflich für mich zu einer wichtigen Phase und einer besonderen Herausforderung geworden.

Ich telefoniere also mit Wissenschaftlerinnen, wühle mich wöchentlich durch Dutzende vorab veröffentlichte Studien aus Fachzeitschriften und wähle mich in die Press Briefings der Weltgesundheitsorganisation WHO und des Robert Koch-Instituts ein. Ich recherchiere, überprüfe Methodik und Aussagekraft von Studien, erkläre, was über den Erreger bisher bekannt ist, und mache in meinen Artikeln transparent, was die Forschung ansatzweise über den neuen Erreger weiß – und was nicht. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand dazu ändert sich täglich. Und er ist auch nie eindeutig oder final.

Nach allem, was bisher klar ist, bin ich davon überzeugt: Sars-CoV-2 ist eine der größten gesundheitlichen Gefahren seit Jahrzehnten. Dass wir in Deutschland nicht erleben mussten, was Bergamo, Madrid oder New York erlebten, halte ich für eine großartige Leistung. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens waren der Schlüssel dazu – auch wenn man in einer Demokratie natürlich immer über die Verhältnismäßigkeit reden können muss, und auch wenn wir mit mehr Wissen über das Virus wohl irgendwann sagen können: Schon krass, manche Gegenmaßnahme war ziemlich sinnlos.

Nichts davon aber hat mit dem Text von damals zu tun, um den es hier geht. Der ist ursprünglich eine Rezension. Im April 2017 strahlte der Sender Arte die Dokumentation Die WHO – Im Griff der Lobbyisten? aus. Ich schaute sie mir vorab an und sprach mit einer der beiden Regisseurinnen. Sie stellte mir Materialien zur Verfügung, die belegen, was im Film behauptet wird. Der Film kritisiert, dass die Bill & Melinda Gates Foundation in den vergangenen zwei Jahrzehnten die internationale Gesundheitspolitik entscheidend geprägt habe, und dass sie möglicherweise großen Einfluss auf die Weltgesundheitsorganisation ausübe. 

Drei Jahre nachdem der Film erschienen ist, lasse ich mir das noch einmal bestätigen. Zuerst erreiche ich Linsey McGoey, Professorin für Soziologie und Autorin eines Buches über die Gates-Stiftung, das den Titel hat No such thing as a free gift, auf Deutsch etwa: "Kein Geschenk ist umsonst." McGoey: "Ja, in allen politischen Lagern gibt es Sorgen über den Einfluss, den die Stiftung auf Regierungen und internationale Organisationen nimmt."

Die Zahlungen der Gates-Stiftung sind weder heimlich noch außergewöhnlich

Aber was genau heißt das? Manche Menschen, die meinen Artikel gerade herumreichen, machen daraus, dass Bill Gates nach der Weltherrschaft greift und eine neue Weltordnung anstrebt. Das ist Unsinn. Ich frage mich, wie man überhaupt auf so etwas kommen kann. Denn kaum jemand dürfte von der aktuellen Weltordnung so profitiert haben wie der Microsoft-Gründer Bill Gates selbst. Warum sollte er die Stabilität, die auch seinen Reichtum und seinen Einfluss schützt, aufs Spiel setzen?

Richtig hingegen ist, dass die Gates-Stiftung einer der wichtigsten Geldgeber der WHO ist. Und dass die Gelder, die die Stiftung überweist, fast ausnahmslos zweckgebunden sind – wie übrigens auch jene knapp 300.000 Dollar, die der ZEIT-Verlag 2019 von der Stiftung als Zuschuss für eine Veranstaltungsreihe zum Klimawandel erhielt (die Gates-Stiftung hat weder auf Programm oder Inhalt der Veranstaltung noch auf unsere redaktionelle Berichterstattung Einfluss, siehe Transparenzhinweis unten). Und natürlich hat die Stiftung dadurch Einfluss darauf, was und wie viel die WHO tun kann – auch wenn es wohl oft die WHO ist, die aktiv nach Geldern fragt. Ein Beispiel: Rund 60 Prozent des Geldes, das die Gates-Foundation an die WHO gibt, ist für die Auslöschung der Kinderlähmung vorgesehen. Dieses Polioprogramm ist das größte singuläre Programm der WHO.

Aber all das geschieht weder heimlich, noch ist es außergewöhnlich. Auch Mitgliedsstaaten geben ihre Gelder zunehmend zweckgebunden an die WHO und drücken ihr damit ihre Agenda auf. Das Geld der Weltgesundheitsorganisation ist ohnehin knapp: vier Milliarden Euro für zwei Jahre, was nur doppelt so viel ist wie das jährliche Budget der Berliner Charité. Und nur über ein Fünftel davon kann sie frei entscheiden. Dass auch die Gates-Stiftung Einfluss auf die WHO hat, liegt vor allem daran, dass die WHO Gelder auftreiben muss, weil sie pleite ist. Man kann das kritisch finden, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass sie ohne die Zuwendungen der Mitgliedstaaten nicht mehr handlungsfähig wäre. Wenn Staaten, wie zuletzt die USA unter US-Präsident Donald Trump, ihr ganz die Zusammenarbeit – und die Zahlungen – aufkündigen, ist der Weltgesundheit jedenfalls sicher auch nicht geholfen. Die einzige Lösung, die WHO unabhängiger zu machen, wäre, dass Staaten sie finanziell tragen, ohne Bedingungen zu stellen, wofür das Geld ausgegeben werden soll.