apa.at
blog / Mittwoch 13.04.22

APA Check Avatar Ukraine-Krieg kein Türöffner für illegale Migration

APA/dpa

Die von einigen Menschen immer wieder geäußerte Furcht vor unkontrollierter Massenzuwanderung nach Österreich wird durch den Krieg in der Ukraine angefacht. Befürchtet wird, dass sich Migranten aus Drittstaaten unter die fliehenden Ukrainer mischen könnten, um sich durch die derzeitige Aufnahmebereitschaft der EU-Länder einen Bleibestatus zu erschleichen.

In diesem Zusammenhang wird derzeit ein Foto der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geteilt. Dieses zeigt sie in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt im Gespräch mit einem dunkelhäutigen Mann (1,2,3).

Einschätzung: Wer nicht von der EU-Massenzustrom-Richtlinie abgedeckt wird, muss sich wie schon bisher einem Asylverfahren stellen. Es kann also nicht, wie suggeriert wird, jeder unter dem Deckmantel des Ukraine-Krieges in die EU einreisen. Der Mann auf dem Foto ist zwar kein Ukrainer, sehr wohl aber aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Er soll sich zuvor als Fußballspieler in der Ukraine aufgehalten haben.

Überprüfung: Die Vertriebenenverordnung (4), die am 12. März 2022 in Kraft trat, regelt klar, für wen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich gilt. Dazu zählen vollumfänglich alle zu Kriegsausbruch in der Ukraine aufhältigen ukrainischen Staatsbürger, für die überdies seit Juni 2017 Visafreiheit innerhalb der EU gilt (5). Auch für aus der Ukraine geflüchtete Drittstaatsangehörige, die bereits mit Asyl oder Schutzstatus in der Ukraine lebten, gilt in Österreich das vorübergehende Aufenthaltsrecht – derzeit bis 3. März 2023.

Nicht anwendbar ist es auf Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel, sofern diese sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Auch in Deutschland (6) ist eine sogenannte Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz auf dieselben Personengruppen anwendbar. Beide beruhen auf der EU-Massenzustrom-Richtlinie (7) vom 20. Juli 2001, die zum Schutz der Flüchtlinge aus der Ukraine 2022 erstmals aktiviert wurde.

Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel „können aber in Österreich aus humanitären Gründen einreisen oder durch Österreich durchreisen, um weiter in Ihren Herkunftsstaat zu gelangen. Sie sind so lange in Österreich legal aufhältig, bis Sie in Ihr Herkunftsstaat weiterreisen können“, informiert das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl online (8).

Patrick Maierhofer, Ressortsprecher des österreichischen Innenministeriums, erklärte gegenüber der APA, dass die weitere Vorgehensweise für Flüchtlinge, auf die die Vertriebenenverordnung nicht anwendbar ist, „klar geregelt“ sei. Hier greife das Asylsystem, demnach werde ein Asylverfahren eröffnet und jeder Einzelfall gesondert entschieden.

Das in den sozialen Medien immer wieder geteilte Bild der deutschen Außenministerin mit einem dunkelhäutigen Flüchtling stammt von der dpa-Fotografin Annette Riedl (9). Auch den Bildtext dazu („Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) spricht mit einem Flüchtling aus Kiew, der ihr etwas auf seinem Handy zeigt.“) lieferte die Deutsche Presse-Agentur.

Tatsächlich flüchtete der Mann kurz zuvor aus der Ukraine nach Deutschland. Die dpa bestätigte dies gegenüber der APA. „Bei dem Abgebildeten handelt es sich um einen nigerianischen Fußballspieler, der in der Ukraine gelebt hat und jetzt geflüchtet ist. Er hat Baerbock auf seinem Handy gezeigt, dass er tatsächlich ein richtiger Fußballspieler ist und gerne beim 1. FC Eisenhüttenstadt spielen will“, erklärte der Leiter der dpa-Fotoredaktion, Peer Grimm, basierend auf Angaben der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) in Eisenhüttenstadt.

Die ZABH selbst verwies die APA an Martin Burmeister, Sprecher des brandenburgischen Ministerium des Innern und für Kommunales. Burmeister erklärte auf Anfrage, dass das Zentrum in Eisenhüttenstadt eine gängige Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge sei, in der sich nicht nur aus der Ukraine Geflüchtete aufhielten. Es sind also sowohl Flüchtlinge untergebracht, die Asylanträge gestellt haben, als auch Flüchtlinge aus der Ukraine, die nicht um Asyl ansuchen müssen, sondern sich auf ihren Schutzstatus berufen können.

Das Zentrum ist demnach derzeit mit etwa 1.500 Personen belegt, davon zuletzt vermehrt in größerer Anzahl Menschen, die aus der Ukraine kamen. Burmeister schätzt die Anzahl illegal aus der Ukraine nach Deutschland eingereister Menschen als „sehr gering ein: „Wir sprechen hier von Einzelfällen.“

Einem Spiegel-Bericht (10) vom 8.4.2022 zufolge belief sich die Zahl an Personen, die „eine Geflüchteteneigenschaft mit Bezug zum Krieg in der Ukraine vortäuschen“ Anfang April auf 58. Diese „Geflüchteteneigenschaft“ liegt nicht vor, wenn es sich etwa um Drittstaatsangehörige handelt oder zum Beispiel um Ukrainer, die sich schon vor Kriegsausbruch in anderen EU-Ländern aufgehalten haben. Dem gegenüber stehen mit Stand 11. April 331.600 dokumentierte Einreisen von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nach Deutschland (11).

Eine Flucht aus afrikanischen oder arabischen Staaten über die Ukraine ist schon alleine aus praktischer Sicht sehr unwahrscheinlich. Die Ukraine ist von den klassischen Fluchtrouten über den Westbalkan oder das Mittelmeer geographisch weit entfernt (12). Dazu kommt, dass man sich freiwillig in ein Kriegsgebiet begeben müsste. Kann man dann nicht nachweisen, dass man schon vor dem 24. Februar in der Ukraine Schutzstatus erhalten hat, wären diese Mühen umsonst.

Quellen:

(1) Facebook-Posting: http://go.apa.at/KpYRibcT (archiviert: https://perma.cc/TR2U-9BX3)

(2) Facebook-Posting: http://go.apa.at/GR1ZOkjO (archiviert: https://perma.cc/PFR5-EPLB)

(3) Facebook-Posting: http://go.apa.at/YoHOJNta (archiviert: https://perma.cc/Z5WG-J43R)

(4) Österreichische Vertriebenenverordnung: http://go.apa.at/cPpLWJrI (archiviert: https://archive.ph/9rxb5)

(5) MDR-Artikel zur Visafreiheit für ukrainische Staatsbürger: http://go.apa.at/WMUg4zek (archiviert: https://archive.ph/PsIIb)

(6) Deutsches Infoblatt zur Einreise aus der Ukraine: http://go.apa.at/Fx4zBMDS (archiviert: https://perma.cc/3G39-AA8T)

(7) EU-Massenzustrom-Richtlinie: http://go.apa.at/ZfTblx53 (archiviert: https://archive.ph/gzU0d)

(8) „FAQs für Vertriebene aus der Ukraine“: http://go.apa.at/X0pIlbFk (archiviert: https://archive.ph/XWuBm)

(9) Das Foto bei „B.Z.“ online: http://go.apa.at/dmOKhFAZ (archiviert: https://archive.ph/sM74b)

(10) „Spiegel“-Bericht: http://go.apa.at/8oK2l8Ib (archiviert: https://archive.ph/D9hrV)

(11) Infoseite Mediendienst Integration: http://go.apa.at/WKZuZM9H (archiviert: https://perma.cc/Q3RG-72NH)

(12) Interaktive Frontex-Landkarte mit Fluchtrouten: http://go.apa.at/vJuds0Ic (archiviert: https://archive.ph/HPA5S)

Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at

Stefan Rathmanner / Florian Schmidt