Ja, das ist auch der Klimawandel – Seite 1

Spielt das Wetter verrückt? Nach einem vergleichsweise kühlen Mai, fing der Juni heiß und trocken an – doch seit Pfingsten gab es fast überall in Deutschland heftige Gewitter mit sehr viel Niederschlag – besonders im Osten. Sind das normale Sommergewitter, eine Folge des Klimawandels, oder beides? Lesen Sie hier noch einmal, wie Starkregen und die Erderwärmung zusammenhängen.

Wie misst man Regen?

Was bei Ihnen im Ort los ist, können Sie problemlos selbst messen. Dazu stellen Sie einen Messbecher unter freiem Himmel auf und warten. Wie groß der ist, ist egal. Breite Gefäße fangen mehr Regentropfen auf als schmale. Trotzdem lässt sich am Ende immer an der Höhe der Wassersäule im Becher in Millimetern die Regenmenge ablesen. Nach dieser einfachen Formel: Ein Millimeter im Becher entspricht einem Liter Regen pro Quadratmeter, dort wo sie ihn aufgestellt haben.

Nichts anderes machen Meteorologen schon seit dem 19. Jahrhundert. Mittlerweile laufen Daten aus unzähligen Messstationen in ganz Deutschland beim Deutschen Wetterdienst (DWD) zusammen. Der dokumentiert täglich, wo die Marken für Stark- oder Dauerregen überschritten wurden.

Ist Starkregen häufiger als früher?

Starkregen – das ist, wenn in kurzer Zeit sehr viel Regen fällt. Im deutschen Sprachraum werde bisweilen ab einer Menge von fünf Litern (immer auf den Quadratmeter bezogen) in fünf Minuten, mehr als zehn Litern in zehn Minuten oder mehr als 17 Litern pro Stunde von Starkregen gesprochen, schreibt der DWD, der bei seinen Wetterwarnungen aber andere Warnkriterien anlegt: Gewarnt wird, sobald Niederschläge von mehr als 15 Litern pro Quadratmeter und Stunde oder 20 Litern innerhalb von sechs Stunden erwartet werden (Warnfarbe Ocker auf der Warnkarte). Ist mit 25 Litern pro Stunde oder 35 Litern innerhalb von sechs Stunden zu rechnen, erfolgt eine Unwetterwarnung (Rot). Alles darüber gilt als extremes Unwetter (Violett).

Bei der Auswertung von Langzeit-Wettermessungen definieren Meteorologinnen und Meteorologen alles über 30 Litern pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden als Starkregen – denn traditionell wurde nur einmal am Tag geschaut, wie viel Wasser sich im Messbecher gesammelt hatte. Schaut man sich diese Messungen der letzten 30, 40 oder auch 100 Jahre an, sieht es nicht so aus, als sei Starkregen häufiger geworden. Unsere ZEIT-ONLINE-Grafik zum Beispiel zeigt die Starkregen-Ereignisse von 1960 bis 2016 als Punkte, 44.005 an der Zahl. Einen Trend kann man daran nicht ablesen.

Starkregenfälle in Deutschland seit 1960

Als Starkregen gilt eine Niederschlagsmenge von mehr als 30 Millimetern pro Tag. Grundlage sind die Wetterdaten aus 78 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes.

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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Meteorologen auch, wenn sie sich andere Zeiträume und andere Niederschlagsmengen ansehen. Frank Kreienkamp vom DWD in Potsdam bezieht sich etwa auf Messungen seit 1951. Betrachtet man die Tage mit mehr als zehn Millimetern Niederschlag pro Tag (also bei Weitem noch kein Starkregen), sei zwar eine minimale Zunahme zu erkennen. Doch bei allem über 20 Millimeter sei der Effekt weg.

Selbst wenn man bis zum Beginn der Industrialisierung zurückschaut – also dem Beginn der menschengemachten Kohlendioxid-Emissionen, die nachweislich einen Treibhauseffekt haben – zeigen die Messdaten keinen Trend zu mehr Starkregen, wie auch Andreas Becker bestätigt, er ist beim DWD für die Niederschlagsüberwachung zuständig.

Also doch nicht der Klimawandel?

Bedeutet das, der heftige Regen, den Deutschland jetzt erlebt, ist keine Folge der globalen Erwärmung? Diesen Schluss dürfe man so nicht ziehen, sagt Meteorologe Becker und zitiert ein Wortspiel aus dem Englischen: "The absence of evidence is not the evidence of absence". Sinngemäß: "Der fehlende Messnachweis eines Ereignisses  stellt keinen sicheren Beweis für die Abwesenheit des Ereignisses oder Trends dar. Außerdem lägen aus der Zeit zu Beginn der Industrialisierung nicht so gute und umfassenden Daten vor.

Der Zeitraum, seit dem es Wetteraufzeichnungen gibt, ist einfach zu kurz, um diesen Zusammenhang zu beweisen, sagt auch der DWD selbst. Trotzdem sind sich die meisten Meteorologen einig, dass die globale Erwärmung zu mehr extremen Wetterereignissen und damit auch zu häufigerem und intensiverem Starkregen führt. Und zwar auch in Deutschland.

Extremwetterereignisse – dazu zählen auch Stürme und Dürren – fänden jedoch  lokal statt. Während es an einem Ort in Deutschland also infolge der globalen Erwärmung womöglich öfter und heftiger regnet, wird es woanders trockener, Hitzewellen werden häufiger. Die Gesamtzahl der Starkregen-Ereignisse in den Wetteraufzeichnungen bliebe bei so einer Entwicklung gleich, und doch hätte der Klimawandel einen Effekt gehabt.

Wie ließe sich der Zusammenhang beweisen?

Für seine Vorhersagen greift der Wetterdienst schon länger auf genauere Satellitendaten zurück, die gute Prognosen zulassen, wie viel Quadratmeter Regen an welchem Ort nicht nur pro Tag, sondern zum Beispiel auch pro Stunde zu erwarten ist. Klimatrends lassen sich aber auch aus diesen Daten noch nicht ablesen. Dafür gibt es die Wettersatelliten im All noch nicht lange genug.

"Die Niederschlagsmessungen in Deutschland sind nicht sehr gut", sagt auch der Kieler Klimatologe Mojib Latif. Ob es an einem Tag 20 Liter Regen pro Quadratmeter gebe oder nicht, sei unerheblich. "Zum Problem wird das doch, wenn die 20 Millimeter in 15 Minuten niederprasseln." Das aber erfassen nur wenige Messstationen, beispielsweise einige in Nordrhein-Westfalen. "Und dort sehen wir: Die Zahl der Extremniederschläge, wie wir sie jetzt in Berlin oder Hannover erlebt haben, die ist angestiegen." Latif spricht von einem "eindeutigen Zusammenhang" zwischen angestiegener Temperatur und der Zunahme von Extremniederschlägen.

"Daten aus den USA, Europa und Australien deuten auf eine erhebliche Zunahme von Extremniederschlägen hin", sagt auch Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der das ausführlich in einem Blogbeitrag für die SciLogs erläutert hat.

Mehr Regen, weil es wärmer wird?

Im Sommer regnet es hierzulande generell mehr – es gibt einfach mehr starke Gewitter mit viel Regen. "Warme feuchte Luft liefert die Energie für Gewitter", erklärt Rahmstorf. Deshalb sind sie in den Tropen häufiger als bei uns, im Sommer häufiger als im Winter. Der Wasserdampfgehalt sei im Zuge der globalen Erwärmung weltweit um rund fünf Prozent angestiegen – "eine erwartete Folge dessen, dass wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann." Im Gewitter steigt die Luft auf, der Wasserdampf kondensiert, und dabei wird latente Wärme frei. "Je feuchter die Luft ist, desto mehr Energie steht im Gewitter zur Verfügung."

Extremwetter kommt selten allein

Doch es ist nicht allein die Hitze, die dazu führt, dass mehr Wasserdampf aufsteigt, erklärt Niederschlagsexperte Andreas Becker. Zwar verdoppelt sich das Aufnahmevermögen der Atmosphäre für Wasserdampf im Bereich zwischen 0 und 40 Grad Celsius alle zehn Grad, was im Niederschlag im Schnitt einem Netto-Zunahme-Effekt von etwa drei Prozent pro Grad Celsius Temperaturanstieg entspricht. Doch bei Starkregen fällt mit jedem Grad Erderwärmung sieben Prozent mehr Niederschlag. Woran das liegt? An etwas, das Meteorologen Super-Clausius-Clapeyron-Effekt nennen. Grob gesagt wird bei Starkregen durch die Konvektion in den für heiße Sommer typischen Haufen-, Quell- oder Cumuluswolken zusätzlicher Wasserdampf zur Niederschlagsbildung aus der Umgebung der Wolke angesogen und in Niederschlag gewandelt, während bei normalem Regen sehr viel vom Niederschlagswasser auf dem Weg zum Boden wieder verdunstet. All das zeige sich bisher allerdings nur an Modellen aus dem Computerlabor, sagt Becker. Der messtechnische Nachweis ist äußerst schwierig und wäre optimal nur durch dreidimensionale radargestützte quantifizierte Niederschlagsmessung leistbar. "Da stecken wir aber noch in den Kinderschuhen."

Und was ist mit dem Jetstream?

Einig sind sich fast alle darüber, dass der verregnete Sommer in Deutschland etwas mit dem Jetstream zu tun hat. Diese kräftigen Luftströmung oberhalb von zehn Kilometern Höhe in der Troposphäre zieht sich um die ganze Erde und bestimmt das Wetter mit. Normalerweise schlängelt dieser Strom sich auf der Nordhalbkugel mal hier, mal da lang. Doch setzt er sich fest – ein Blocking genanntes Phänomen –, verhindert er, dass sich Großwetterlagen verändern. Deshalb regnet es derzeit bei uns andauernd, während es im Süden Europas extrem heiß ist. "Die Erderwärmung bringt den Jetstream aus dem Takt", sagt Mojib Latif und Kreienkamp erläutert: "Deswegen haben wir jetzt hier eine stabile Phase mit Tiefdruckwetterlagen, und in Südeuropa sind die Hochdruckwetterlagen stabil".

Solche weit voneinander entfernten Extremwettereignisse, die im Paar auftreten, kamen in der Vergangenheit gehäuft vor. 2010 verursachte ein geänderter Jetstream die extreme Dürre in Russland gefolgt von heftigen Waldbränden und gleichzeitig die größten Überschwemmungen Pakistans. Parallel zur Kältewelle in Nordamerika 2014 mit Temperaturen bis zu minus 36 Grad Celsius in Minnesota und einer Schneedecke bis nach Texas kam es zu einer Wärmewelle mit bis zu plus zehn Grad in Sibirien.

Könnte alles nur Zufall sein?

Könnte es. Statistisch wird man das erst nachweisen können, wenn man bessere Daten – etwa aus den Satellitenaufnahmen – über einen sehr langen Zeitraum auswertet. Und damit meinen Klimaforscherinnen und -forscher Jahrhunderte. Sie erklären das gerne am Beispiel eines gezinkten Würfels: Will man herausfinden, ob wirklich öfter eine Sechs fällt als alle andern Zahlen, muss man sehr oft würfeln. Jedes Mal kann es auch nur Zufall sein, wenn die Sechs kommt. Erst nach abertausenden Würfen würde eine Statistik einen Trend zur Sechs erkennen lassen. Je häufiger geworfen wird, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die wiederkehrende Sechs noch Zufall ist. Genau so ist es auch mit dem Starkregen.

Ist Deutschland vorbereitet?

Das Fazit: Sehr wahrscheinlich erleben wir schon jetzt mehr Stark- und Dauerregen in Folge des Klimawandels und solche Extremwetterereignisse werden weiter zunehmen. Auch hierzulande müsse man sich darauf einstellen. "Vor allem die Städte sind nicht vorbereitet", sagt der Kieler Professor Latif. Gerade was den Starkregen angeht, fordert er ein "neues Denken" in der Stadtplanung: "Wir brauchen mehr Überflutungsflächen und Zwischenspeicher". Begrünte Dächer beispielsweise helfen, Wasser zu speichern – damit es eben nicht in U-Bahnschächte läuft.