Die Gegner der Corona-Beschränkungen demonstrieren seit Monaten regelmäßig in Wien. Eine Versammlung der FPÖ wurde im Jänner untersagt, laut Verwaltungsgericht Wien war das rechtswidrig. Die Landespolizeidirektion will das Urteil anfechten.

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"Ein echtes Hammer-Urteil", "absolut bahnbrechend", frohlockte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl auf seiner Facebook-Seite. Auch auf querdenkerischen und rechtsextremen Websites wird landauf, landab gejubelt. Es sei nun "amtlich", dass "PCR-Tests völlig ungeeignet" seien und die "Corona-Politik ohne Basis", liest man dort etwa. Den STANDARD erreichen zahlreiche Zuschriften, wonach die Redaktion nun gefälligst aufhören solle, über die offiziellen Infektionszahlen zu berichten, weil das Gericht diese doch als irreführend verworfen habe.

Es geht um ein 13-seitiges Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Wien, das am Mittwoch zugunsten der Blauen ausfiel. Die Untersagung einer von der FPÖ in Wien angemeldeten Corona-Demo am 30. Jänner ist demnach seitens der Landespolizeidirektion Wien "zu Unrecht" erfolgt. Das ist an sich nicht besonders überraschend, denn die Abwägung zwischen dem Recht auf Versammlungsfreiheit und dem öffentlichen Gesundheitsschutz ist notorisch heikel. Das behördliche Verbot einer Versammlung stellt einen tiefen Eingriff in die Grundrechte dar, den die Gerichte bei Beschwerden streng überprüfen müssen.

Youtube gegen Corona-Kommission

Außergewöhnlich ist allerdings die Art und Weise, mit der sich der Richter zum Corona-Experten aufschwingt und ohne Beiziehung von Fachleuten seine Sicht der Dinge als virologische Wahrheit verkauft. Der Corona-Kommission im Gesundheitsministerium attestiert er im Handumdrehen eine falsche Definition der Infektionszahlen. Beim Wiener Gesundheitsdienst – auf den sich die Polizei berief – ortet er "zum Seuchengeschehen keine validen und evidenzbasierten Aussagen". Außerdem schreibt der Spezialist für Rückführungen und Lenkberechtigungen, "dass ein PCR-Test nicht zur Diagnostik geeignet ist".

Als Quelle hierfür dient ihm unter anderem ein zweiminütiges reißerisches Youtube-Video mit markant hervorgehobenen Botschaften:

Screenshot des Youtube-Videos, mit dem der Richter seine Kritik am PCR-Test als Diagnoseinstrument belegt.
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In den zusammengestückelten Sequenzen des Videos werden aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen des Chemikers und Erfinders der PCR-Methode, Kary Mullis, dargeboten. Inhaltlicher Aufhänger seiner Ausführungen ist, dass Mullis entgegen dem wissenschaftlichen Konsens den Zusammenhang von HIV und Aids in Abrede stellt. Sars-CoV-2 hat Mullis übrigens nicht mehr erlebt, der US-Amerikaner starb Mitte 2019 vor Ausbruch der Pandemie. Die Videomacher danken ihm für die "Wahrheit aus dem Jenseits".

Der Protagonist des zweiminütigen "Querdenker"-Videos ist der Mitte 2019 verstorbene Chemienobelpreisträger Kary Mullis.
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Der Innsbrucker Verfassungsrechtler Peter Bußjäger sagte dem STANDARD am Mittwoch, es sei "kühn" und "erstaunlich", dass sich der Richter mit seiner Corona-Beurteilung weit aus dem Fenster lehnt, ohne offenbar das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt zu haben. Beim Verwaltungsgericht hieß am Donnerstag, man kommentiere das Urteil nicht – zum Richter wird man telefonisch nicht durchgestellt.

Darlegung zu PCR-Test "unwissenschaftlich"

Befragt man wissenschaftliche Experten zur virologischen Argumentation des "Hammer-Urteils", bleibt von dieser nicht viel übrig. "Der PCR-Test ist der beste Test, um eine momentane Infektion auszuschließen oder eine akute bzw. vor kurzem erfolgte Infektion nachzuweisen", sagt der Molekularbiologe und RNA-Experte Julius Brennecke. Der hochsensitive und hochspezifische PCR-Test ist laut Brennecke auch der derzeit beste Test, um eine Diagnose zu stellen.

Was ist zudem wissenschaftlich von des Richters Einlassung auf Seite 9 des Urteils zu halten, wonach "bei CT-Werten über 24 kein vermehrungsfähiger Virus mehr nachweisbar und ein PCR-Test nicht dazu geeignet ist, die Infektiosität zu bestimmen"? Brennecke, der an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht, nennt den angeblichen Schwellenwert 24 "unwissenschaftlich". Im Einklang einer Studie des Berliner Virologen Christian Drosten erklärt er, dass bei einer Viruslast von etwa 1.000 Kopien pro Mikroliter Abstrich eine Infektiosität der betroffenen Person wahrscheinlich ist – das entspricht je nach Verfahren etwa einem CT-Wert von 30 und bedeutet rund 60-fach weniger Virusmenge als bei einem CT-Wert von 24. Mit einem CT-Wert von 24 und der britischen Virusvariante könne man demnach "hochansteckend" sein, sagt der Molekularbiologe, der auch den Gurgeltest mitentwickelt hat.

Im Bescheid, mit dem die Polizei die FPÖ-Demo untersagt hat und den der Richter aufgehoben hat, wurde auch explizit mit der höheren Ansteckungsgefahr der Mutante B.1.1.7 argumentiert – mittlerweile macht diese in Österreich übrigens 84 Prozent aller Corona-Infektionen aus.

Protestnote gegen Corona-Novelle

Der Richter verbreitet seine Thesen zur Pandemie indes nicht nur per Urteil, sondern auch mittels privater Stellungnahmen zu Corona-Gesetzen. Das zeigt eine Recherche auf der Homepage des Parlaments. Gemeinsam mit einer Frau gleichen Nachnamens, die ebenfalls am Wiener Verwaltungsgericht als Richterin aktiv ist, protestierte er gegen die Novelle des Epidemiegesetzes und Covid-Maßnahmengesetzes, die im Jänner kurz vor der untersagten FPÖ-Demo in Kraft trat. Darin findet sich auch die in "querdenkerischen" Kreisen populäre Vokabel der "Testpandemie".

In seiner Wortmeldung gegen die Corona-Novelle im Jänner verwendete der Richter dieselben Thesen wie in seinem Urteil zur FPÖ-Demo.
Screenshot: Parlamentshomepage

Gegen die aktuell vom Bundesrat blockierte Corona-Novelle formulierte er Anfang März bloß einen widerständischen Zweizeiler.

Die Abfassung eines längeren Schriftstücks zum erstinstanzlichen Urteil könnte auf den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zukommen – jedenfalls wenn es nach der Landespolizeidirektion Wien geht. Diese will eine außerordentliche Revision einlegen und in die nächste Instanz gehen. Ob ein Höchstgericht in dem Fall aber überhaupt tätig werden kann, ist noch nicht klar. VwGH-Richter Hans Peter Lehofer schreibt, für den Kernbereich des Versammlungsrechts sei der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zuständig. Die juristische Crux daran: Die Landespolizeidirektion könne keine VfGH-Beschwerde vorbringen. (Theo Anders, 2.4.2020)