Blitzschnell eingesaugt oder: Woher unsere Zunge kommt

Mysteriöse Kreaturen schlängeln sich durch die Flüsse Chinas. Plötzlich schlagen sie zu und saugen ihre Beute im Bruchteil einer Sekunde ein. ZoologInnen rund um Egon Heiss von der Universität Wien haben den "Saugschnappmechanismus" des Riesensalamanders untersucht und die Ergebnisse publiziert.

Die Beschleunigungen, die beim "Saugschnappen" auf die Beute des Riesensalamanders wirken, betragen 4 bis 6g: "Solche Beschleunigungen werden beim Start von Raketenautos gemessen", erklärt Egon Heiss vom Department für Integrative Zoologie.

Der Chinesische Riesensalamander zählt zu den ursprünglichsten noch lebenden Amphibien – seine Anatomie hat sich seit über 160 Millionen Jahren kaum verändert. Und er ist das größte lebende Amphib auf unserem Planeten. Die seltene Kreatur lebt in den Flüssen und Strömen Zentral- und Ost-Chinas und ernährt sich dort von Fischen und Krebsen. Diese "saugschnappt" er explosionsartig in sein Maul: "Der Mechanismus des Saugschnappens war ein wichtiger Schritt, bevor die Amphibien vor ca. 360 Millionen Jahren das Land erobert haben, und machte den Weg frei für die Evolution unserer Zunge", bringt Egon Heiss ein zentrales Ergebnis seiner Forschung auf den Punkt.



Der chinesische Riesensalamander erreicht eine Länge von über 160 cm bei einem Gewicht von über 50 kg und ist somit der größte Vertreter der Familie der Riesensalamander. Im Bild ein konservierter Chinesischer Riesensalamander in den Armen des Zoologen Egon Heiss von der Universität Wien. (Foto: Egon Heiss)



Der Weg vom Wasser aufs Land


Bereits vor einigen Jahren haben ForscherInnen aus den USA gezeigt, dass der Saugschnappmechanismus beim Amerikanischen Riesensalamander möglicherweise anders als bei anderen aquatischen Räubern – wie z.B. Fischen – funktioniert. "Über die Riesensalamander lernen wir, die frühe Evolution der Landwirbeltiere, d.h. den Übergang von Fischen zu vierbeinigen Wirbeltieren – sogenannten 'Tetrapoden' – besser zu verstehen", erklärt Heiss, der zurzeit im Rahmen eines FWF Schrödinger-Auslandsstipendiums an der Universität Antwerpen forscht.

Gemeinsam mit einem internationalen Team aus WissenschafterInnen hat er Form und Funktion des Saugschnappmechanismus des Chinesischen Riesensalamanders mit modernsten Methoden aus Anatomie und Biomechanik untersucht.



Wenn der Chinesische Riesensalamander seine Beute schnappt, wirken so große Beschleunigungen auf die Beute, wie sie auch beim Start von Raketenautos gemessen werden.

 

High-speed Video: Aufgenommen mit 3.000 Hz, abgespielt mit 30 Hz. (Video: Egon Heiss)



Hightech-Methoden

Mit speziellen High-Speed Kameras – und einer zeitlichen Auflösung von 2.000 bis 6.000 Bildern pro Sekunde – filmten Heiss und sein Team drei Chinesische Riesensalamander beim schnellen Saugschnappen. "Außerdem haben wir mit Hilfe von Computertomographie und digitalen 3-D Rekonstruktionstechniken die Kopf-Anatomie eines konservierten Exemplars analysiert", ergänzt der Zoologe. Anhand der Ergebnisse haben die ForscherInnen ein Computermodell generiert: "Wir haben das konservierte Exemplar im Computer quasi zum Leben erweckt und mit Hilfe spezieller Software – der numerischen Fluidmechanik – die Wasserbewegungen um den Riesensalamander beim simulierten Saugschnappen berechnet."

Die Ergebnisse – welche für einiges Aufsehen in Fachkreisen gesorgt haben – hat er kürzlich im Fachjournal Journal of the Royal Society Interface publiziert: Der Chinesische Riesensalamander benutzt tatsächlich eine bis dato unbekannte Mechanik des Saugschnappens. "Damit kann er einen Fisch von der Größe einer Forelle innerhalb von 0,05 Sekunden einsaugen", so Heiss.




Anhand der Bewegungsanalyse und 3-D Anatomie haben die ForscherInnen rund um Egon Heiss eine Computersimulation des Saugschnappmechanismus generiert: Die horizontalen Fluid-Geschwindigkeiten sind farbcodiert und die Stromlinien geben die Richtung der Geschwindigkeiten an.

Computersimulation des "Saugschnappmechanismus" (Video: Sam Van Wassenbergh & Egon Heiss)



Zwischen Fisch …


Im Gegensatz zu anderen hocheffizienten Saugschnappern – wie z.B. Fischen – nutzt der Riesensalamander keine schnelle Volumenerweiterung des Kiemen- bzw. Rachenraumes, um den blitzartigen Druckabfall im Mund-Rachenraum herbeizuführen. "Riesensalamander reißen Ober- und Unterkiefer in hoher Geschwindigkeit auseinander. Das führt zu einem Druckabfall zwischen den 'Kieferplatten'. Die Beute strömt gemeinsam mit dem umgebenden Wasserkörper blitzartig ins geöffnete Maul", beschreibt Heiss den Mechanismus. Durch den Impuls des einströmenden Wassers kommt es zu einer Volumenerweiterung im Kehlbereich. Denn Riesensalamander haben – wie alle metamorphosierten Salamander – weder Kiemen noch Kiemenöffnungen, über die das eingesogene Wasser entweichen kann.

… und Mensch

Dieser Mechanismus des Saugschnappens war ein wichtiger Schritt in der Evolution: Die Landwirbeltiere verfügen nämlich im Zungenapparat über eine – stark umgebaute – Hyoid- und Kiemenstruktur. Diese wird von Fischen benutzt, um das Wasser und die Beute ins Maul einzusaugen. Wer an Land Nahrung aufnehmen will, braucht aber unbedingt eine Zunge, um die Nahrung zur Speiseröhre zu befördern. "Diese konnte sich jedoch nicht direkt aus dem Saugapparat von Fischen bilden: Die Übergangsformen wären entweder im Wasser ohne Saugschnappen oder an Land ohne Zunge verhungert", erklärt Heiss.

In seiner Studie hat er nun einen alternativen biomechanischen Weg gezeigt, Beute durch kraftvolles Öffnen des Mauls einzusaugen: Die Hyoid-Kiemenbögen wurden dafür von ihrer Saugfunktion befreit. "Dadurch konnten sie für andere Funktionen umgestaltet werden – der Weg für die Evolution der Zunge war frei", so Heiss abschließend. Riesensalamander selbst haben nur eine unbewegliche Vorstufe der Zunge – vergleichbar mit jener der ersten Tetrapoden. (red/ps)

Das Paper "Biomechanics and hydrodynamics of prey capture in the Chinese giant salamander reveal a high-performance jaw-powered suction feeding mechanism" (AutorInnen: Egon Heiss, Nikolay Natchev, Michaela Gumpenberger, Anton Weissenbacher and Sam Van Wassenbergh) erschien am 6. März 2013 im Fachjournal "Journal of the Royal Society Interface".