Faktencheck

Nein, dieses Foto zeigt kein Kind, das einen russischen Angriff überlebte

Das Kind heiße Marc, sei acht Jahre alt und habe einen russischen Artillerieangriff in der Ukraine überlebt, heißt es zu einem Foto auf Facebook. Doch das Foto wurde in einen falschen Kontext gesetzt: Es stammt von einem Buchcover aus dem Jahr 2013 und steht in keinem Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg.

von Kimberly Nicolaus

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Dieses Foto soll den 8-jährigen Marc zeigen, der einen russischen Angriff überlebt habe. Doch das Foto steht in keinem Zusammenhang zum Krieg in der Ukraine. Es ist das Cover eines Buches, das 2013 veröffentlicht wurde. (Quelle: Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Foto eines Kindes zeige Marc, acht Jahre alt, der einen russischen Artillerieangriff überlebt habe.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Das Foto ist veraltet und steht in keinem Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Es ist das Cover eines fiktiven Romans aus dem Jahr 2013.

„Das Traurigste daran: In der Ukraine gibt es keine Kinder mehr. Nur kleine Menschen mit sehr erwachsenen, sogar alten Augen. Müde von einem Leben, das noch nicht gelebt wurde“, heißt es in Facebook- und Twitter-Beiträgen auf Englisch vom 27. Dezember 2022. Dazu wird ein Foto von einem Jungen mit Tränen verschmiertem Gesicht und löchrigem T-Shirt geteilt. Er soll Marc heißen, sei acht Jahre alt und habe einen russischen Artillerieangriff überlebt. 

Auf Facebook verbreitete sich die Behauptung, dieses Foto zeige den 8-jährigen Marc, der einen russischen Angriff überlebt habe. Doch die Beschreibung ist falsch, das Foto wurde bereits 2013 veröffentlicht.
Auf Facebook verbreitete sich die Behauptung, dieses Foto zeige den 8-jährigen Marc, der einen russischen Angriff überlebt habe. Doch die Beschreibung ist falsch, das Foto wurde bereits 2013 veröffentlicht. (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Foto und die Beschreibung veröffentlichte auch Lesia Vasylenko, Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, einen Tag zuvor auf Twitter. Der Beitrag wurde inzwischen gelöscht. 

Deutschsprachige Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken – unter anderem auch der pro-russische Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ von Alina Lipp – wiesen darauf hin, dass das Foto veraltet und auf dem Buchcover eines spanischen Romans zu sehen sei. 

Foto des Kindes erschien bereits 2013 auf einem Buchcover 

Eine Bilderrückwärtssuche mit der Suchmaschine Tineye zeigt, dass das Foto mindestens seit 2012 im Netz zu finden ist. Tatsächlich wurde es für das Cover des Buches „El hombre en el olvido“ genutzt. Dabei handelt es sich um eine Übersetzung eines fiktiven Romans der irischen Autorin Christina McKenna.

Das Buch (auf Deutsch: „Der übersehene Mann“) erschien ursprünglich 2008 und spielt in Nordirland. Die spanische Übersetzung, die als Cover das Foto des Jungen als Symbolbild nutzt, erschien am 1. November 2013. Das Foto des Kindes steht also in keinem Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Das auf Facebook geteilte Foto (links) ist identisch mit dem Foto auf dem Buch „El hombre en el olvido“ (rechts), das 2013 veröffentlicht wurde
Das auf Facebook geteilte Foto (links) ist identisch mit dem Foto auf dem Buch „El hombre en el olvido“ (rechts), das 2013 veröffentlicht wurde (Quelle: Facebook / Goodreads; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Dass Kinder im Krieg in der Ukraine ihr Leben verlieren oder zu den Verletzten zählen, belegen die Angaben der Vereinten Nationen: Seit der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 verzeichnete die Ukraine 6.702 zivile Todesopfer, darunter 424 Kinder. 10.479 Zivilpersonen seien verletzt worden, davon 775 Kinder (Stand: 5. Dezember 2022). 

Falschbehauptungen über den Russland-Ukraine-Krieg begegneten uns von beiden Kriegsparteien. Darunter zum Beispiel der Fall um Lyudmila Denisova, die ehemalige Menschenrechtskommissarin der Ukraine. Sie wurde Ende Mai vom ukrainischen Parlament entlassen, nachdem berechtigte Zweifel an ihren Schilderungen über Fälle sexueller Gewalt bekannt wurden. Doch bislang überwiegt die pro-russische Propaganda und Desinformation, die die Ukraine als faschistischen Staat darstellt, um den Angriffskrieg Russlands zu rechtfertigen.

Zudem werden mit in falschem Kontext verbreiteten Fotos und Videos Verletzungen von ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern immer wieder als inszeniert dargestellt und die Folgen des Kriegs verharmlost (zum Beispiel hier, hier oder hier). 

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Paulina Thom, Uschi Jonas