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SPIEGEL-Bericht über Skandal War Österreichs Vizekanzler käuflich?

2017 stellte Österreichs späterer Vizekanzler Strache einer vermeintlichen russischen Investorin öffentliche Aufträge in Aussicht. Mit diesem Artikel machte der SPIEGEL den Skandal 2019 publik.

Der Artikel »Geheime Videos belasten FPÖ-Chef Strache – Ist Österreichs Vizekanzler käuflich?« aus dem SPIEGEL vom 17. Mai 2019 gewann im Dezember 2019 den Reporterpreis . Jetzt spricht der Detektiv, der die Videos aufnahm, im SPIEGEL-Interview . Aus diesem Anlass veröffentlichen wir den Artikel jetzt noch mal. Für eine begrenzte Zeit ist dieser SPIEGEL+-Text auch ohne vierwöchiges kostenloses Probeabonnement zu lesen. Sollten Sie dennoch ein Probeabonnement abschließen wollen, können Sie dies hier tun.

Der österreichische Vizekanzler und Vorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Heinz-Christian Strache, hat sich vor der letzten Nationalratswahl bereit gezeigt, als Gegenleistung für Unterstützung im Wahlkampf öffentliche Aufträge zu vergeben. Dies geht aus heimlich erstellten Videoaufnahmen hervor, die dem SPIEGEL und der »Süddeutschen Zeitung« (SZ) zugespielt wurden.

Lesen Sie hier die ganze Geschichte bei SPIEGEL+.

Sie dokumentieren ein Treffen Straches und seines Vertrauten, dem heutigen FPÖ-Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus, im Juli 2017 auf Ibiza mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen. Die Frau gab an, rund eine Viertelmilliarde Euro in Österreich investieren zu wollen und deutete mehrmals an, dass es sich dabei um Schwarzgeld handeln könnte. Trotzdem blieben Strache und Gudenus gut sechs Stunden lang bei dem Treffen sitzen und diskutierten über Anlagemöglichkeiten in Österreich. Das Treffen war offensichtlich als Falle für die FPÖ-Politiker organisiert worden.

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Ein Szenario, das die Runde auslotete, war die damals vermeintlich angedachte Übernahme der »Kronen Zeitung« durch die Frau. »Wenn sie die Kronen Zeitung übernimmt drei Wochen vor der Wahl und uns zum Platz eins bringt, dann können wir über alles reden«, sagte Strache der Frau laut den Videoaufnahmen. Konkret stellte der FPÖ-Chef ihr öffentliche Aufträge im Straßenbau in Aussicht, wenn sie der FPÖ zum Erfolg verhelfe: »Dann soll sie eine Firma wie die Strabag gründen. Alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann.« Weiter sagte er: »Das Erste in einer Regierungsbeteiligung, was ich heute zusagen kann: Der Haselsteiner kriegt keine Aufträge mehr!« Gemeint ist Hans Peter Haselsteiner, der langjährige Vorstandsvorsitzende und Miteigentümer des Baukonzerns Strabag.

Fotostrecke

Strache-Video: "Alle staatlichen Aufträge kriegt sie"

Foto: Heinz-Peter Bader/ Reuters

Außerdem offenbarten Strache und Gudenus bei dem Treffen ein womöglich illegales System der Parteifinanzierung, das die FPÖ etabliert haben könnte. »Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen«, sagte Strache laut den Videoaufnahmen. Das Geld fließe aber nicht an die FPÖ, sondern an einen Verein. »Der Verein ist gemeinnützig, der hat auch nichts mit der Partei zu tun. Dadurch hast du keine Meldungen an den Rechnungshof.« Strache und Gudenus nennen auf dem Video mehrere Namen angeblicher Großspender, die bereits bezahlt oder zumindest eine Zusage gegeben hätten. Diese dementierten auf Anfrage von »Süddeutscher Zeitung« und SPIEGEL, direkt oder indirekt an die FPÖ gespendet zu haben.

Die beiden Politiker räumten die Zusammenkunft in der Villa auf Ibiza auf Anfrage ein. Es sei »ein rein privates« Treffen in »lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre« gewesen, teilte Strache schriftlich mit. »Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen.« Das gelte auch für »allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten«. Strache ergänzt, er oder die FPÖ hätten »niemals irgendwelche Vorteile« von diesen Personen erhalten oder gewährt. »Im Übrigen«, schrieb Strache, »gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere.«

Die wichtigsten Fragen zum #StracheVideo:

Was zeigen die Videoaufnahmen?

Die Aufnahmen zeigen ein Treffen in einer Villa auf Ibiza, das am Abend des 24. Juli 2017 stattgefunden hat. Teilgenommen haben den Videos zufolge: Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus, dessen Ehefrau sowie ein weiterer Mann, der Deutsch spricht, und eine Frau, die auf dem Video vor allem Russisch und Englisch spricht. Die Frau behauptet, eine reiche Russin zu sein und will auch die lettische Staatsangehörigkeit besitzen. In Österreich wolle sie große Summen Geld fragwürdiger Herkunft investieren. Sie und ihr männlicher Begleiter stellen in Aussicht, 50 Prozent der österreichischen »Kronen Zeitung« kaufen zu wollen, was der FPÖ nutzen könnte. Dafür allerdings erwarten sie von Strache und Gudenus eine Gegenleistung.

Sehen Sie hier kommentierte Ausschnitte aus dem Video.

Wie haben Strache und Gudenus reagiert?

Zunächst einmal brechen die beiden Politiker das Gespräch nicht ab, mehr als sechs Stunden lang diskutieren sie verschiedene Optionen. Beide betonen wiederholt, dass sie nichts Illegales tun werden, gleichzeitig werden der Frau verschiedene Möglichkeiten für ihr Investment dargelegt, die mindestens fragwürdig, womöglich auch illegal sind. Zu einer konkreten Absprache kommt es bis zum Ende des mehrstündigen Treffens nicht.

Titelbild des SPIEGEL in Österreich

Titelbild des SPIEGEL in Österreich

Welche möglichen Gegenleistungen werden besprochen?

Strache erklärt unter anderem, dass die österreichische Baufirma Strabag im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen solle. Stattdessen könnte der Zuschlag an eine noch nicht gegründete Firma der angeblichen Russin gehen.

Strache erwähnt zudem eine fragwürdige Form der Parteispende – über einen gemeinnützigen Verein. Damit könne man die Meldungspflicht beim Rechnungshof umgehen. Parteispenden müssen in Österreich ab 50.000 Euro gemeldet werden. Spenden von Ausländern dürfen nur bis zu einer Höhe von 2641 Euro angenommen werden. Strache ermuntert die angebliche Russin, auch sie könne ja Geld auf diesem Weg spenden. Schließlich werden auch andere Optionen besprochen, etwa Staatsaufträge mit »Überpreis«, also offenbar mit einem Aufschlag zulasten des Steuerzahlers.

Wie haben Strache und Gudenus auf die Recherchen reagiert?

SPIEGEL und »Süddeutsche Zeitung« haben Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus am 15. Mai angeschrieben und die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Die beiden Politiker antworteten schriftlich über WhatsApp und räumten die Zusammenkunft in der Villa auf Ibiza ein. Es sei »ein rein privates« Treffen in »lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre« gewesen, teilte Strache mit. »Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen.« Das gelte auch für »allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten«. Strache ergänzt, er oder die FPÖ hätten »niemals irgendwelche Vorteile« von diesen Personen erhalten oder gewährt. Fast wortgleich äußert sich Johann Gudenus.

Woher kommt das Material?

Die Unterlagen und Dateien wurden der »Süddeutschen Zeitung« und dem SPIEGEL zugespielt. Aus Gründen des Quellenschutzes macht der SPIEGEL keine Angaben über die Herkunft.

Wie hat der SPIEGEL die Echtheit der Aufnahmen überprüft?

SPIEGEL und »Süddeutsche Zeitung« haben die entscheidenden Passagen von einem geprüften und zertifizierten Sachverständigen für Foto-Forensik, Foto-Anthropologie und digitale Forensik prüfen lassen. Laut seiner Analyse handelt es sich bei den Personen auf den Videos eindeutig um Strache, Gudenus und dessen Ehefrau. Hinweise auf eine Manipulation der Aufnahmen fand der Sachverständige nicht. Ebenso wenig wie das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, das ein weiteres forensisches Gutachten erstellt hat.

Teile der Unterhaltung, die ganz oder in Teilen auf Russisch geführt wurden, hat eine beeidigte Dolmetscherin ins Deutsche übersetzt. Außerdem haben »Süddeutsche Zeitung« und SPIEGEL einem externen Anwalt die wichtigsten Passagen vorgespielt, der die verschriftlichten Zitate überprüft hat. Er kann bezeugen, dass die verschriftlichten Zitate mit den Videoaufnahmen übereinstimmen. Die Dokumentationsabteilung des SPIEGEL hat wie üblich zusätzlich den Text inklusive der genannten Zitate einer Überprüfung unterzogen.

Hat der SPIEGEL für die Informationen gezahlt?

Nein. Es floss weder Geld, noch gab es andere geldwerte oder sonstige Gegenleistungen. Die »Süddeutsche Zeitung« hielt es nach eigenen Angaben genauso.

Wie kam es zur Kooperation des SPIEGEL mit der »Süddeutschen Zeitung«?

Der SPIEGEL und die »Süddeutsche Zeitung« wurden unabhängig voneinander über die Existenz des Materials informiert. Die beiden Medienhäuser haben davon erfahren und sich daraufhin zu einer Kooperation entschieden. Das Wiener Wochenmagazin »Falter« bekam die Möglichkeit, die Aufnahmen bereits vor der Veröffentlichung einzusehen.

Was war die Motivation der Personen, die die Aufnahmen gemacht haben?

Darüber hat der SPIEGEL keine gesicherten Erkenntnisse und beteiligt sich deshalb nicht an Spekulationen über die möglichen Motive.

Warum druckt der SPIEGEL die Aussagen aus den heimlich aufgenommenen Videos?

Die Aussagen des heutigen Vizekanzlers Österreichs und seines Vertrauten haben eine hohe politische Relevanz und sind von öffentlichem Interesse. Daher hat sich der SPIEGEL zu einem Abdruck entschieden.

Wie ging es nach dem Treffen auf Ibiza weiter?

Darüber liegen dem SPIEGEL keine gesicherten Erkenntnisse vor. Beide Politiker behaupten, nach dem Treffen keinen Kontakt mehr zu der Frau gehabt zu haben. Die »Kronen Zeitung« gehört weiterhin zu 50 Prozent der Familie Dichand. Die andere Hälfte gehörte zur Zeit des Ibiza-Treffens über die WAZ Ausland Holding der deutschen Funke Mediengruppe. Im Herbst 2018 kaufte die Signa-Gruppe des österreichischen Unternehmers René Benko 49 Prozent der WAZ Ausland Holding und wurde damit zum Miteigentümer der »Kronen Zeitung«. Dabei habe es sich um eine »rein unternehmerische Entscheidung« gehandelt, ließ Benko über einen Anwalt mitteilen.

Bereits Mitte April hatte der Satiriker Jan Böhmermann in einem Videogrußwort für die Verleihung des österreichischen Fernsehpreises »Romy« gescherzt, er hänge »gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza« herum und verhandle über die Übernahme der Kronen Zeitung.

Wusste Böhmermann also damals schon von den Aufnahmen?

Die Umstände des Treffens auf Ibiza waren vermutlich einer Reihe von Leuten bekannt, bevor SPIEGEL und »Süddeutsche Zeitung« nun darüber berichten.

Wird der SPIEGEL die Aufnahmen den Behörden zur Verfügung stellen?

Nein, der SPIEGEL wird Behörden die Originalaufnahmen nicht zur Verfügung stellen. Der veröffentlichte Zusammenschnitt ist natürlich auch für Behörden abzurufen.