In der EU verwendete Corona-Impfstoffe haben bedingte Marktzulassung

20.09.2021, 13:36 (CEST)

Im Zuge der Corona-Pandemie wurden vom Gesundheitsministerium mehrfach neue Verordnungen erlassen. Dies rief viele Maßnahmen-Kritiker auf den Plan. Derzeit heißt es etwa in einem oft geteilten Facebook-Posting (hier archiviert), dass laut dem Verfassungsgerichtshof «Lockdown-"Nachfolgeverordnungen" verfassungswidrig» seien. «Alles was gerade passiert, ob Maskenpflicht oder sonst irgend was ist Verfassungswidrig.» (Schreibfehler im Original). Zudem wird behauptet, dass die Corona-Impfung nur eine Notfallzulassung habe.

Bewertung

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) prüft jeden zulässigen Antrag einzeln. Einzelne Corona-Regelungen wurden vom VfGH für verfassungswidrig erklärt. Diese Entscheidungen können jedoch nicht von einem auf den anderen Fall umgelegt werden. Alle Corona-Impfstoffe in der EU wurden mittels bedingter Marktzulassung zugelassen.

Fakten

Prinzipiell kann eine Regierung nicht willkürlich Gesetze oder Rechtsverordnungen beschließen, sondern muss sich an das Gesetzgebungsverfahren halten und – vor allem in Bezug auf die Corona-Pandemie - die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen miteinbeziehen. Gerichte können diese Verhältnismäßigkeit dann überprüfen und Regelungen gegebenenfalls aufheben, so wie es teilweise auch passiert ist.

Wie sich auf der Webseite des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) (hier, hier) nachlesen lässt, wird der VfGH grundsätzlich nur auf Antrag tätig und nicht von sich aus. Er kann also nicht einfach Verordnungen für verfassungswidrig erklären. Entscheidungen können auch nicht automatisch von einem auf den anderen Fall umgelegt werden. Es sei jeweils neu zu prüfen, bestätigte auch eine VfGH-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) für einen früheren Faktencheck.

Zuletzt traf der VfGH unter anderem zur Maskenpflicht im Handel, der Teilnehmer-Beschränkung bei Begräbnissen oder der Testpflicht bei der Ausreise aus Tirol Entscheidungen. Ein Antrag des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich bezüglich der Verpflichtung zum Tragen einer Maske im Kundenbereich in geschlossenen Räumen in Betriebsstätten wurde beispielsweise abgewiesen.

Die Stammfassung der Covid-19-Lockerungsverordnung (BGBl. II 197/2020), auf dessen Basis im Mai 2020 eine Maskenpflicht im Handel gegolten hatte, wurde aber für gesetzwidrig erklärt. Die Beschränkung auf 50 Teilnehmer bei Begräbnissen am Anfang des Jahres 2021 war demnach unverhältnismäßig, die Testpflicht bei Ausreisen aus Tirol aber verhältnismäßig.

In der Vergangenheit erfolgten solche VfGH-Erkenntnisse häufig aus formalen und nicht aus inhaltlichen Gründen. In der Entscheidung zum Betretungsverbot für Sport- und Freizeitbetriebe heißt es etwa, dass nicht nachvollziehbar war, warum der Verordnungsgeber die getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat: «Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine weitere Prüfung, ob die angefochtenen Wortfolgen in § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl. II 96/2020 auch aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig waren.»

Dasselbe gilt für die als gesetzwidrig erklärte Pflicht zur Auskunft an die Gesundheitsbehörde bei Covid-19-Verdachtsfällen. In zwei früheren dpa-Faktenchecks werden weitere Beispiele angeführt, bei denen die Gesetzwidrigkeit aufgrund von formalen Gründen erfolgte (hier, hier).

Die Corona-Impfstoffe wurden in der EU mittels bedingter Marktzulassung zugelassen. Diese ist von einer Notfallzulassung zu unterscheiden. Erstere erfolgt laut EU-Kommission innerhalb «eines kontrollierten und robusten Rahmens, der Schutzmaßnahmen bietet, den Notfallzulassungen möglicherweise nicht bieten.» Bei der Notfallzulassung handle es sich gar nicht um eine Zulassung des Impfstoffs an sich, sondern um «die Zulassung der vorübergehenden Anwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs». Das Arzneimittel bleibe unlizenziert.

Bei der bedingten Marktzulassung seien Kontrollen und Verpflichtungen nach der Zulassung rechtsverbindlich und könnten von der EMA kontinuierlich bewertet werden. Auch regulatorische Maßnahmen seien erforderlichenfalls möglich.

Gemäß den EU-Arzneimittelvorschriften sind laut der EU-Behörde Notfallzulassungen prinzipiell möglich. Allerdings sei die Verwendung eines Impfstoffs ausschließlich auf den Mitgliedsstaat, der eine solche Zulassung erteilt habe und nur unter dessen Verantwortung, beschränkt.

Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sagte der dpa, dass die Zulassung von Pandemie-Impfstoffen in der EU grundsätzlich durch ein zentrales Zulassungsverfahren durch EMA und EU-Kommission erfolge. Eine Notfallzulassung, wie es sie etwa in Form einer «Emergency Use Authorisation» in den USA gebe, sei auf EU-Ebene gesetzlich nicht verankert. Auch dazu gibt es bereits einen dpa-Faktencheck.

(Stand: 20.9.2021)

Links

Überblick über den Verfassungsgerichtshof (VfGH) (archiviert)

FAQ zum VfGH (archiviert)

dpa-Faktencheck 1 zu früheren Behauptungen rund um VfGH und Verordnungen

dpa-Faktencheck 2 zu früheren Behauptungen rund um VfGH und Verordnungen

Covid-Entscheidungen des VfGH von März 2021 (archiviert)

Letzte Covid-Entscheidungen des VfGH (archiviert)

VfGH-Erkenntnis 530/2020 (archiviert)

VfGH-Erkenntnis 573/2020 (archiviert)

EU-Kommission über bedingte Marktzulassung und Zulassungsprozess der Covid-19-Impfstoffe in EU (archiviert)

dpa-Faktencheck zu bedingter Marktzulassung

Facebook-Posting (archiviert)

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