Aussagen zu Corona-Impfstoffen unbelegt

07.01.2022, 17:08 (CET), letztes Update: 12.01.2022, 14:21 (CET)

Mehr als 71 Prozent der Deutschen haben den vollständigen Grundschutz mit den meist zwei nötigen Impfungen gegen Covid-19. Dennoch halten sich hartnäckig Behauptungen, wonach die Impfung angeblich gefährlich sein soll. «Der Beweis ist da: Impfung zerstört Immunsystem», heißt es etwa in einem Video, dass sich in sozialen Medien verbreitet (archiviert, Video archiviert). Darin berichtet der pensionierte Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, der in der Vergangenheit bereits Falschinformationen verbreitet hat: «Es ist nun bekannt, dass Autoimmunreaktionen, die zur Selbstzerstörung führen, durch diese Impfstoffe ausgelöst werden». Angeblich hätten das Untersuchungen von Pathologen ergeben. Die Corona-Impfstoffe würden junge wie alte Menschen und sogar Kinder töten, sagt Bhakdi. Ist an diesen Behauptungen etwas dran?

Bewertung

Es gibt keine Belege für die Behauptungen. Häufige gefährliche Nebenwirkungen der Corona-Impfungen wären angesichts von Milliarden Impfungen weltweit längst bemerkt worden. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie nannte Bhakdis Behauptungen immunologisch gesehen «kaum nachzuvollziehen und teilweise wirr».

Fakten

In Deutschland sind bisher 150 Millionen Impfdosen verabreicht worden. Weltweit sind es mehr als 9 Milliarden Impfdosen. Die Impfung schützt vor schweren Verläufen von Covid-19 und Todesfällen - auch wenn sie nie 100-prozentig schützt, die Schutzwirkung mit der Zeit nachlassen oder durch neue Varianten abgeschwächt werden kann. Die große Mehrheit der Geimpften hat die Impfung abgesehen von bekannten Impfreaktionen gut vertragen.

Treten gesundheitliche Probleme kurz nach einer Impfung auf, können sie als Verdachtsfälle von Nebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldet werden. Um auszuschließen, dass unbekannte medizinische Folgen zu einer höheren Sterblichkeit führen, vergleicht das PEI die Zahl der statistisch zu erwartenden Todesfälle mit den tatsächlich gemeldeten Todesfällen. Laut dem jüngsten PEI-Sicherheitsbericht vom 23. Dezember 2021 zeigte sich hierbei «für keinen der vier bisher in Deutschland eingesetzten Covid-19-Impfstoffe ein Risikosignal».

Durch die Überwachung der Impfstoffe sind einige sehr seltene Nebenwirkungen der Corona-Impfung bekannt geworden: Herzmuskel- oder -beutelentzündungen nach Impfung mit Biontech oder Moderna sowie eine spezielle Form der Thrombose nach Impfung mit Astrazeneca und Johnson & Johnson. Daraufhin wurden Impfempfehlungen angepasst.

Das PEI schätzt die aktuelle Überwachung der Corona-Impfstoffe als gut ein. «Neue Impfstoffe führen immer zu einer erhöhten Melderate, einfach weil die Aufmerksamkeit sowohl der Geimpften wie auch der Impfenden stark sensibilisiert ist. [...] Und das ist gut so, denn so können wir sicher sein, auch sehr seltene Nebenwirkungen, die ein Risikosignal darstellen könnten, frühzeitig zu entdecken», sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Es ist also äußerst unwahrscheinlich, dass häufige schwerwiegende Nebenwirkungen, wie sie Sucharit Bhakdi angeblich beobachtet haben will, bisher nicht bemerkt worden wären.

Die Behauptung, die Impfstoffe könnten eine Selbstzerstörung des Immunsystems auslösen, weisen Experten zurück. Der Immunologe Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sagte gegenüber «tagesschau.de», Bhakdis Behauptungen seien «unwissenschaftlicher Unsinn». Die Ausführungen seien immunologisch gesehen «kaum nachzuvollziehen und teilweise wirr».

Selbst wenn winzige Spuren des Spike-Proteins, das bei einer Corona-Impfung in den Zellen entsteht, im Körper nachgewiesen werden können, habe das keine biologischen Auswirkungen. «So viel Impfstoff könnte man gar nicht spritzen, dass dieser überall hinkommt. Dieses Bild hat nichts mit der Realität zu tun», so Watzl. Bhakdi hatte behauptet, der Impfstoff gelange in den ganzen Körper und richte dort Schäden an.

Als Quelle für seine Behauptungen verweist Bhakdi auf angebliche Untersuchungen des pensionierten Pathologen Arne Burkhard. Dieser trat bereits im September 2021 mit einer Pressekonferenz in Erscheinung, die er «Pathologie-Konferenz» nannte. Dort behauptete er, acht Obduktionsergebnisse von Toten abschließend analysiert zu haben, die angeblich nach ihrer Corona-Impfung verstorben seien.

Nun gibt er an, weitere Obduktionsergebnisse untersucht zu haben. Als Schlussfolgerung warnte Burkhard vor angeblich tödlichen Folgen der Corona-Impfung. Die Deutsche Fachgesellschaft für Pathologie bezeichnete die Behauptungen als «Meinungsäußerungen» und «nicht wissenschaftlich fundiert».

Der pensionierte Professor für Mikrobiologe, Sucharit Bhakdi, hat in der Vergangenheit bereits mehrfach Corona-Falschinformationen verbreitet.

Im weiteren Verlauf des Videos spricht Bhakdi zudem von einer angeblichen «Explosion von Tumoren unter Geimpften». Dafür gibt es keine Belege. Der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) ist ein solcher angeblicher Anstieg von Tumorbefunden in Folge der Impfung nicht bekannt. «Wenn das ein echtes Problem wäre, hätten wir das bemerkt», sagte die Jenaer Professorin Marie von Lilienfeld-Toal, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen in der DGHO, der dpa. «Wir finden keine erhöhte Rate von Rückfällen.»

Möglich sei aber, dass die laufende Pandemie und das damit verbundene eingeschränkte Gesundheitssystem dazu führen, dass Tumore später entdeckt und behandelt werden. «Wir gehen davon aus, dass einige Patientinnen und Patienten aufgrund der Pandemie verzögert mit Krebserkrankungen oder Rückfällen in ärztliche Behandlung gekommen sind. Einige dieser Erkrankungen waren dann schon im fortgeschrittenen Stadium», sagte die Onkologin von Lilienfeld-Toal. Von diesem negativen Effekt seien auch Geimpfte betroffen. «Diese Fälle haben aber nichts mit der Impfung zu tun.»

Die wissenschaftliche Fachgesellschaft weist darauf hin, dass Krebspatienten «ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben». Deswegen werde ihnen vorrangig eine Impfung empfohlen. «Es gibt keine krebsspezifischen Kontraindikationen gegen eine Covid-19-Impfung», schreibt die DGHO. Eine Kontraindikation meint einen medizinischen Umstand, der explizit gegen eine bestimmte Behandlung sprechen würde.

(Stand: 12.1.2022)

Hinweis

In einer aktualisierten Version wurden in den letzten drei Absätzen widerlegende Fakten zu weiteren unbelegten Äußerungen Bhakdis zur vermeintlich schädlichen Auswirkungen der Impfung auf Tumorerkrankungen ergänzt.

Links

Übersicht Impffortschritt in Deutschland (archiviert)

Übersicht verabreichte Impfdosen weltweit (archiviert)

PEI-Sicherheitsbericht vom 23. Dezember 2021 (archiviert)

dpa-Faktencheck «Corona-Impfungen: Zahlen beziehen sich auf Verdachtsfälle von Todesfällen und Nebenwirkungen»

Informationsseite über Risiken und Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe (archiviert)

dpa-Faktencheck «Verdachtsfälle werden häufiger gemeldet, nicht tatsächliche Nebenwirkungen»

Artikel auf «tagesschau.de» mit Äußerungen des Immunologen Carsten Watzl (archiviert)

dpa-Faktencheck - Behauptungen pensionierter Pathologen über Covid-Impfungen laut Fachgesellschaft «nicht wissenschaftlich fundiert»

Stellungnahme der DGP zur Pressekonferenz «Todesursache nach COVID-19-Impfung» (archiviert)

dpa-Faktencheck «Mediziner Bhakdi unterschätzt Gefährlichkeit des Coronavirus»

dpa-Faktencheck «Aussagen zu PCR-Tests, asymptomatischen Infizierten und Todesfällen durch Impfungen sind falsch und unbelegt»

dpa-Faktencheck «Bhakdi nennt falsche Zahlen zu Nebenwirkungen bei Corona-Impfung»

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie zur «Schutzimpfung gegen COVID-19 bei Krebspatient*innen» (archiviert)

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

Video mit der Behauptung (archiviert, Video archiviert)

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