EU-Forschungsförderung in Gefahr: Ein Weckruf

Handlungsempfehlungen

  1. Möchte die EU mit der Entwicklung in anderen Weltregionen mithalten und konkurrenzfähig sein, braucht sie eine adäquate Finanzierung von Forschung und Innovation.
  2. Österreich hat in den letzten Jahren von den EU-Rahmenprogrammen zur Forschungsförderung massiv profitiert und sollte daher – schon allein aus Eigeninteresse – ein höheres Gesamtbudget unterstützen, um eine Finanzierung des neuen Forschungsprogramms „Horizon Europe“ sicher zu stellen.
  3. Die österreichische Forschungsgemeinschaft sollte sich wiederum aktiv – auch auf höchster politischer Ebene – dafür einsetzen, ein „Aushungern“ des neuen Budgets für „Horizon Europe“ rechtzeitig zu verhindern

Zusammenfassung

In der derzeitigen Diskussion zum neuen EU-Budget für die Jahre 2021-2027 hatte die Europäische Kommission ursprünglich eine geringfügige Erhöhung des Gesamtbudgets und eine modernere thematische Verteilung der Geldmittel vorgesehen; unter anderem war geplant das neue EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ mit 100 Milliarden Euro auszustatten, um im Bereich Forschung und Innovation weiterhin mit anderen Weltregionen konkurrenzfähig zu sein. In den derzeitigen Verhandlungen unter den EU-Mitgliedsstaaten ist die Finanzierung von „Horizon Europe“ allerdings extrem unter Druck geraten. Während einige Mitgliedsstaaten für ein erhöhtes EU-Gesamtbudget eintreten (aber nicht für den  Bereich Forschung), betont Österreich zwar sich für eine adäquate finanzielle Ausstattung von „Horizon Europe“ einzusetzen, gleichzeitig ist es aber offizielle Regierungslinie, den EU-Beitrag Österreichs (und damit das EU-Gesamtbudget) nicht prozentuell erhöhen zu wollen. Da Österreich auch nicht für eine Kürzung anderer großer Budgetposten (wie der Landwirtschaft) zur Verfügung zu stehen scheint, nimmt  das Land de facto das Risiko einer Kürzung der EU-Forschungsförderung in Kauf, obwohl österreichische Institutionen in diesem Bereich bisher extrem gut abgeschnitten und profitiert haben. Nachdem „Horizon Europe“ neue Progammlinien vorsieht, würden Budgetkürzungen zur Folge haben, dass bereits bestehende Programmlinien „ausgehungert“ werden könnten. Wie die Times Higher Education berichtet, könnte davon insbesondere der European Research Council (ERC) betroffen sein. Bei weniger Budget würden die Bewilligungsraten weiter zurückgehen, was auch die österreichische Forschungslandschaft massiv betreffen würde.

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EU-Forschungsförderung in Gefahr: Ein Weckruf

Die Pläne der EU-Kommission für das neue EU-Budget und die Forschungsförderung

Will man sowohl althergebrachte Programme erhalten als auch neue Prioritäten einführen bzw. stärken, ist eine moderate Erhöhung der Beitragszahlungen wohl unumgänglich.

Alle sieben Jahre beschließt die Europäische Union ihr Budget, den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen. Basierend auf einem Vorschlag der EU-Kommission vom Jahr 2018 wird derzeit gerade der Haushalt für 2021-2027 intensiv diskutiert. Dieser Vorschlag sieht eine geringfügige Erhöhung des Gesamtbudgets und eine modernere thematische Verteilung des Budgets vor:während die Ausgaben für ausgewählte Bereiche der Gemeinsamen Agrarpolitik sinken sollen, sind Erhöhungen für Zukunftsprioritäten wie Klimaschutz, Migration und Außenpolitik vorgesehen (siehe Grafik). Diese Neuausrichtung erklärt auch, warum die EU-Beiträge in einer kleineren EU ohne Großbritannien nicht einfach unberührt bleiben können. Im Gegenteil, will man sowohl althergebrachte Programme erhalten als auch neue Prioritäten einführen bzw. stärken, ist eine moderate Erhöhung der Beitragszahlungen wohl unumgänglich. Daher sollen gemäß der EU-Kommission in Zukunft die Mitgliedsstaaten 1,11 Prozent ihrer Bruttonationaleinkommen einzahlen, statt wie bisher 1,03 Prozent.[1] Entgegen der weit verbreiteten Meinung, man würde mit diesen Beiträgen eine „aufgeblähte Bürokratie“ finanzieren, zeigt die Grafik auch, dass nur 6,7 Prozent der Mittel in die Verwaltung fließen, der Rest geht über die verschiedenen Förderprogramme zurück an die Mitgliedsstaaten.

Quelle: Factsheet EU Budget for the future budget[2]

Als Teil dieser neuen Prioritäten hätte auch die Forschung nach den ursprünglichen Plänen der Europäischen Kommission von zusätzlichen Mitteln profitieren sollen. Geplant war eine Ausstattung des neuen „Horizon Europe“-Programmes, welches das derzeitige „Horizon 2020“-Programm Anfang des nächsten Jahres ablösen soll, mit 100 Milliarden Euro für den Zeitraum 2021-2027 (im Vergleich dazu ist „Horizon 2020“ mit ca. 77 Mrd. EUR für 2014-2020 ausgestattet).
Der „Horizon Europe“-Vorschlag der Kommission wurde inhaltlich durchaus kontroversiell im Europäischen Parlament diskutiert[3]; was die Finanzmittel anbelangt war sich das Parlament allerdings rasch einig, dass Forschung und Innovation in Europa gut aufgestellt sein müssen, wenn man weiterhin mit anderen Weltregionen konkurrenzfähig sein will und die sich selbst gesteckten Ziele auch erreichen möchte. Das Parlament forderte daher sogar eine Aufstockung der Mittel für „Horizon Europe“ auf 120 Milliarden Euro.

Nur Lippenbekenntnisse zu Forschung und Innovation?

In der Realpolitik der derzeitigen Diskussionen im Rat bzw. Europäischen Rat droht die Forschungsförderung allerdings unter die Räder der unterschiedlichen Interessen der EU-Länder zugeraten.

Auch die EU-Mitgliedsstaaten betonen immer wieder die Wichtigkeit von Forschung und Innovation.[4] In der Realpolitik der derzeitigen Diskussionen im Rat bzw. Europäischen Rat droht die Forschungsförderung allerdings unter die Räder der unterschiedlichen Interessen der EU-Länder zu geraten: generell sind die so genannten EU-13 (jene Länder die seit 2004 der EU beigetreten sind) Nettoempfänger. Sie haben  im Allgemeinen Interesse an einer Aufstockung des EU-Haushalts, profitieren allerdings unverhältnismäßig wenig von der Forschungsförderung, die (hauptsächlich) basierend auf wissenschaftlicher Exzellenz (und nicht auf Grund geographischer Kriterien) vergeben wird. Daher setzten sich diese Länder primär dafür ein, EU-Gelder in Regionalförderung und in die Landwirtschaft fließen zu lassen, Förderbereiche die für sie leichter zugänglich sind.
Eine zweite große Gruppe, die Nettozahler, schneiden in „Horizon 2020“ im Allgemeinen gut ab, da sich in diesen Ländern viele renommierte Forschungseinrichtungen befinden. Einige dieser Mitgliedstaaten sind jedoch gegen eine Aufstockung des EU-Gesamthaushalts und manche lehnen auch Kürzungen bestehender regionaler und landwirtschaftlicher Mittel in ihren Verhandlungspostionen ab.

Die Nettozahler schneiden in „Horizon 2020“ im Allgemeinen gut ab, da sich in diesen Ländern viele renommierte Forschungseinrichtungen befinden.

Schadet sich hier Österreich selbst?

So lukrierte Österreich im derzeitigen „Horizon 2020“-Programm zur Forschungsförderung bereits 1,5 Milliarden Euro und befindet sich damit unter den Top 3 der erfolgreichsten EU-Länder.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Haltung sowohl der ehemaligen Übergangsregierung als auch der gerade neu angelobten österreichischen Bundesregierung. Gemeinsam mit den Niederlanden stemmt sich Österreich gegen eine prozentuelle Beitragserhöhung und gefährdet damit paradoxerweise gerade auch jene Programme in denen es bisher sehr erfolgreich war. So lukrierte Österreich im derzeitigen „Horizon 2020“-Programm zur Forschungsförderung bereits 1,5 Milliarden Euro und befindet sich damit unter den Top 3 der erfolgreichsten EU-Länder.[5] Leider hilft es wenig, wenn die jeweiligen ForschungsministerInnen beteuern, sich für eine gute finanzielle Ausstattung von „Horizon Europe“ einzusetzen. Ohne eine zumindest moderate Erhöhung des EU-Gesamthaushaltes lässt sich das 100 Milliarden Budget von „Horizon Europe“ nur schwer  finanzieren, insbesondere wenn Kürzungen bei anderen Programmen abgelehnt werden.
Nachdem also weder Nettozahler noch Nettoempfänger sich mit Nachdruck  für die Forschungsförderung einsetzen, sieht es so aus als würden die Mittel für „Horizon Europe“  letztlich geringer als geplant ausfallen werden.[6] Die kolportierten Kürzungen würden im Vergleich zu dem Vorschlag der EU-Kommission ein Budget von 82 Milliarden Euro für „Horizon Europe“ vorsehen, – ein Betrag, der vielleicht noch beeindruckend klingt, aber nicht ausreicht, um die ehrgeizigen Ziele des Programms zu finanzieren, das neue Konzepte wie sogenannte „Missionen“ sowie eine völlig neue Förderlinie für Innovation vorsieht. Bei den derzeit in Betracht gezogenen Reduzierungen könnte die Beibehaltung dieser Neuheiten in „Horizon Europe” bedeuten, dass andere Teile des Programms, wie z. B. die Grundlagenforschung finanziell „ausgeblutet“ würden. So schrieb die Times Higher Education bereits im November 2019, dass die kolportierten Kürzungen den European Research Council überdurchschnittlich betreffen könnten.[7]

Nachdem also weder Nettozahler noch Nettoempfänger sich mit Nachdruck  für die Forschungsförderung einsetzen, sieht es so aus als würden die Mittel für Horizon 2020 letztlich geringer als geplant ausfallen werden.

Auch die Forschung braucht eine Lobby

Während sich mehrere EU-Dachorganisationen der Forschungsorganisationen (wie LERU[8], EUA[9] und andere) auf EU-Ebene für die Forschung einsetzen, scheint die österreichische Forschungsgemeinschaft fast teilnahmslos, wenn es darum geht, sich bei der österreichischen Regierung öffentlich für eine adäquate EU-Finanzierung von Forschung einzusetzen.

Die österreichische Forschungsgemeinschaft muss sich darüber im Klaren sein, dass sich Haushaltsentscheidungen, die jetzt oder in naher Zukunft auf europäischer Ebene getroffen werden, unmittelbar auf ihre individuellen Chancen auswirken, in einigen Jahren EU-Projektmittel einzuwerben.

Gandhi soll gesagt haben, dass die Zukunft davon abhängt, was wir in der Gegenwart tun. Die österreichische Forschungsgemeinschaft muss sich darüber im Klaren sein, dass sich Haushaltsentscheidungen, die jetzt oder in naher Zukunft auf europäischer Ebene getroffen werden, unmittelbar auf ihre individuellen Chancen auswirken, in einigen Jahren EU-Projektmittel einzuwerben. Denn auch jetzt ist es schon so, dass gute Projektideen nicht gefördert werden können, weil auf europäischer Ebene zu wenig Geld vorhanden ist. Konkret macht sich das in der hohen Antragsablehnungsrate bei „Horizon 2020“ bemerkbar. Wird „Horizon Europe“ wirklichstiefmütterlich behandelt, könnte sich diese Situation in Zukunft noch wesentlich verschärfen.
Mit anderen Worten: die österreichischen ForscherInnen sollten jetzt die österreichische Bundesregierung dazu aufrufen, ihre Haltung bezüglich der Finanzierung der europäischen Forschung strategisch zu definieren. Letztlich ist es unumgänglich einer moderaten Erhöhung der Beiträge zuzustimmen, um  die Forschungsförderung finanziell adäquat auszustatten: Österreich würde als Nettogewinner davon profitieren.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlüsselwörter
EU-Budget, Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR), Forschungsförderung, Horizon Europe

Zitation

Spichtinger, D. (2020). EU-Forschungsförderung in Gefahr: Ein Weckruf. Wien. ÖGfE Policy Brief, 04’2020

Mag. Daniel Spichtinger

Mag. Daniel Spichtinger ist unabhängiger Spezialist für EU-Forschungspolitik. Von 2012 bis 2018 arbeitete er als Sachbearbeiter bei der Generaldirektion Forschung und Innovation (DG RTD) der Europäischen Kommission.