Die Musik macht den Wein

"Herr Ober, noch ein Achterl, bitte!". Warum uns Musik anregt, länger sitzen zu bleiben, hat Christoph Reuter vom Institut für Musikwissenschaft gemeinsam mit deutschen ForscherInnen untersucht. Welche Musikwirkungstypen es gibt und wann wir ein Lokal verlassen, erklärt er im Gespräch mit uni:view.

uni:view: Herr Reuter, eine kürzlich durchgeführte Studie ihres Instituts beschäftigt sich mit der Wirkung von Musik in Gastronomiebetrieben. Was haben Sie untersucht?
Christoph Reuter:
Richard von Georgi von der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin, Romina Damm von der Universität Gießen und ich sind der Frage nach der Wirkung von Musik in Hotellerie- und Gastronomiebetrieben nachgegangen. In der Studie ging es darum zu schauen, welche Faktoren in welcher Gewichtung dazu beitragen, dass BesucherInnen von Restaurants, Beisln, Heurigen und ähnlichen Lokalitäten länger bleiben und mehr konsumieren.

uni:view: Im Gegensatz zu früheren Studien zu diesem Thema beziehen Sie auch Wechselwirkungen zwischen Person und Umwelt mit ein. Welche persönlichen Eigenschaften haben Sie berücksichtigt?  
Reuter:
Bislang sind Untersuchungen dieser Art nur aus einer eher eindimensionalen Sichtweise durchgeführt worden. Die Persönlichkeit der LokalbesucherInnen, die Musikpräferenzen, das Lokalambiente sowie die Einbettung der Gesamtsituation in ein soziales Umfeld wie etwa die Bedeutung des gemeinsamen Musikerlebens und des Mitsingens wurden dabei so gut wie nie miterfasst. In der Realität geht es jedoch nie um Einzelaspekte, sondern um komplexe Individuen, die sich in nicht weniger komplexen Situationen befinden, in denen die Musik je nach Persönlichkeit und Ambiente (und deren Wechselwirkung) zu unterschiedlichen Anteilen beeinflussend wirkt. Um alltagstaugliche Ergebnisse zu erhalten wurden all diese und viele weitere beeinflussende Faktoren aus Persönlichkeit und Umwelt zu einem statistisch berechenbaren Gesamtkonstrukt zusammengefasst.

uni:view: Wie beeinflusst Musik das Ess- und Trinkverhalten?  
Reuter:
Der Einfluss von Musik auf das Ess- und Trinkverhalten ist weitaus komplexer, als es bisherige Studien annehmen lassen. Auf der Grundlage der erhobenen Daten konnte ein Modell entwickelt werden, mit dem sich die Abhängigkeit von Persönlichkeit, Ambiente und Musik an vier verschiedenen Musikwirkungstypen zeigen lässt: Der Kontrolltyp sucht sich Lokalitäten gezielt nach der Musik aus und bevorzugt Evergreens oder Live-Musik, jedoch keine aktuelle Popmusik. Bei passender Musik und Ambiente bleibt er länger, gibt jedoch nicht mehr Geld aus. Beim Partytyp muss die Musik ein Mitsingpotential besitzen. Das gemeinsame Singen und Erleben steht hier im Vordergrund, während die Lokalität selbst als auch deren Hygiene vernachlässigbar sind. Auch bei passender Musik zum Mitsingen (aktuelle Pop- und Volksmusik, auch Live-Musik) bleibt er meist nur kurz und zieht dann in die nächste Lokalität, gibt dabei aber vergleichsweise mehr Geld für Getränke aus.

Der Genusstyp möchte mit Hilfe von Musik den Genuss der Gesamtsituation erhöhen. Für ihn ist es wichtig, dass die Musik zum Ambiente passt (aktuelle Popmusik, Evergreens, Live-Musik). Dann bleibt er länger und gibt mehr Geld für Speisen aus. Der Aktivationstyp möchte mit Hilfe von Musik seine eigene Stimmung positiv aktivieren. In Sachen Musik will er lieber keine Experimente wagen, das heißt Klassik und Live-Musik steht er ablehnend gegenüber, während er aus den Medien bekannte Musik (Pop- und auch Volksmusik) bevorzugt. Bei passender Musik gibt er mehr Geld sowohl für Speisen als auch für Getränke aus.

Die WissenschafterInnen befragten im Auftrag der Verwertungsgesellschaft AKM und des VeranstalterVerband Österreich (VVAT) 751 Personen aus Deutschland und Österreich im Alter zwischen 18 und 69 Jahren mittels Online-Fragebogen. Im Bild v.l.n.r.: Martin Pinczolits (VVAT), Richard von Georgi (SRH Hochschule der populären Künste, Berlin), Christoph Reuter (Universität Wien), Georg Linhart (AKM). (Foto: Nicole Schnell)

uni:view: Gibt es einen Unterschied zwischen Live-Musik und Musik aus dem Radio bzw. Musik vom Band?
Reuter:
Ja, LiebhaberInnen von Live-Musik suchen sich die Lokalitäten häufig gezielt aus und streben mit Neugierde meist nach einer gewissen Intimität zur/m KünstlerIn bzw. zum Ensemble. Pop- oder Volksmusikdarbietungen werden hier weniger geschätzt, ebenso ist das Mitsingpotenzial oder der Bekanntheitsgrad der live gespielten Musik meist eher unwichtig. BesucherInnen von Restaurants mit Live-Musik besitzen meist eine hohe künstlerische Wertschätzung (in dem Sinne, dass die KünstlerInnen für ihre musikalische Leistung auch entsprechend entlohnt werden sollten), jedoch ist es sehr situations- und typenabhängig, ob durch den Einfluss von Live-Musik mehr an Getränken oder Speisen konsumiert wird.

uni:view: Was passiert, wenn den Gästen die musikalische Unterhaltung nicht zusagt?  
Reuter:
Schlechte, unpassende oder zu laute Musik zeigte sich in der Studie als der meist genannte Grund, weswegen BesucherInnen eine Lokalität frühzeitig verlassen. Weitere, weniger häufig genannte Gründe waren schlechte Stimmung, negative Atmosphäre, unangenehme Gäste, unfreundliche oder schlechte Bedienung, zu viele RaucherInnen, zu schlechte Luft, mangelnde Hygiene, zu volles Lokal und körperliches Unwohlsein.
 
uni:view: Sie unterscheiden verschiedene Wirkungstypen, wie Musik auf Gäste wirken kann. Gibt es Musik, mit der man bei keinem Typ etwas falsch machen kann?
Reuter:
Eine Musik, die auf alle Wirkungstypen gleichermaßen angenehm oder förderlich wirkt, ist schwierig zu finden: Man könnte hier als größten gemeinsamen Nenner vielleicht die Evergreens und Popmusik nennen. Diese werden vom Kontroll-, Genuss- und Aktivationstyp bei passendem Lokalambiente gleichermaßen gerne gehört. Mit dieser Musik erreicht man jedoch nicht den Partytyp, für den die aktuelle Pop- und Volksmusik am besten passt, und zwar völlig unabhängig vom Ambiente der Lokalität. (pp)

Die Studie "Bedingungs- und Wirkungsfaktoren von Musik in Hotellerie- und Gastronomiebetrieben" wurde von AKM Autoren, Komponisten und Musikverleger und dem VeranstalterVerband Österreich (VVAT) in Auftrag gegeben und von Prof. Dr. M.A. Dipl.-Psych. Richard von Georgi (Studiengangsleiter Medienpsychologie, SRH Hochschule der populären Künste hdpk Berlin), Univ.-Prof. Dr. Christoph Reuter vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und Romina Damm, B.A. (Justus-Liebig-Universität Gießen) durchgeführt.