Verletzt die Corona-Impfpflicht wirklich den Nürnberger Kodex?

Eine Corona-Impfung wird für Österreicher bald verpflichtend.

Eine Corona-Impfung wird für Österreicher bald verpflichtend.

Wien. Deutschland geht bereits in den zweiten Corona-Winter, und noch immer ist das Virus nicht unter Kontrolle. Die Impfung gegen das Coronavirus ist nach wie vor der vielversprechendste Ausweg aus der Pandemie. Doch noch immer sind nicht genug Menschen in Deutschland geimpft. So wird erneut über eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona diskutiert.

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Österreich ist da bereits weiter: Ab dem 1. Februar 2022 sind alle Menschen in Deutschlands Nachbarland dazu verpflichtet, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Bundeskanzler Alexander Schallenberg hatte bekannt gegeben, dass eine bundesweite allgemeine Impfpflicht eingeführt werde. Österreich ist das erste Land weltweit, das diesen Schritt geht.

Bei den Bürgerinnen und Bürgern hat diese Entscheidung teilweise für Protest gesorgt. Auch in den sozialen Netzwerken gab es österreichische Nutzerinnen und Nutzer, die sich über die Impfpflicht echauffierten. Sie beriefen sich dabei etwa auf den sogenannten Nürnberger Kodex, mit dem eine solche Regelung nicht vereinbar sei. Doch was ist eigentlich der Nürnberger Kodex? Und ist damit eine Impfpflicht tatsächlich rechtswidrig?

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Das bedeutet der Nürnberger Kodex

Der Nürnberger Kodex geht auf den Nürnberger Ärzteprozess zurück, der von Dezember 1946 bis August 1947 vor dem Ersten Amerikanischen Militärgerichtshof stattgefunden hat. Angeklagt waren mehrere Medizinerinnen und Mediziner des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus, weil sie klinische Experimente an KZ-Gefangenen durchgeführt hatten, ohne dafür deren Einwilligung einzuholen. Auch Euthanasiemorde standen auf der Anklageliste. Das Gericht verurteilte die Ärztinnen und Ärzte später zu lebenslanger Haft und zum Tod.

Das Ergebnis dieser Verhandlungen war der Nürnberger Kodex. Seine zehn Grundsätze, die der Erste Amerikanische Militärgerichtshof festlegte, wirken bis heute nach. Zu finden sind sie unter anderem auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaften. Sie lauten:

  1. Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können. Diese letzte Bedingung macht es notwendig, dass der Versuchsperson vor der Einholung ihrer Zustimmung das Wesen, die Länge und der Zweck des Versuches klargemacht werden; sowie die Methode und die Mittel, welche angewendet werden sollen, alle Unannehmlichkeiten und Gefahren, welche mit Fug zu erwarten sind, und die Folgen für ihre Gesundheit oder ihre Person, welche sich aus der Teilnahme ergeben mögen. Die Pflicht und Verantwortlichkeit, den Wert der Zustimmung festzustellen, obliegt jedem, der den Versuch anordnet, leitet oder ihn durchführt. Dies ist eine persönliche Pflicht und Verantwortlichkeit, welche nicht straflos an andere weitergegeben werden kann.
  2. Der Versuch muss so gestaltet sein, dass fruchtbare Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft zu erwarten sind, welche nicht durch andere Forschungsmittel oder Methoden zu erlangen sind. Er darf seiner Natur nach nicht willkürlich oder überflüssig sein.
  3. Der Versuch ist so zu planen und auf Ergebnissen von Tierversuchen und naturkundlichem Wissen über die Krankheit oder das Forschungsproblem aufzubauen, dass die zu erwartenden Ergebnisse die Durchführung des Versuchs rechtfertigen werden.
  4. Der Versuch ist so auszuführen, dass alles unnötige körperliche und seelische Leiden und Schädigungen vermieden werden.
  5. Kein Versuch darf durchgeführt werden, wenn von vornherein mit Fug angenommen werden kann, dass es zum Tod oder einem dauernden Schaden führen wird, höchstens jene Versuche ausgenommen, bei welchen der Versuchsleiter gleichzeitig als Versuchsperson dient.
  6. Die Gefährdung darf niemals über jene Grenzen hinausgehen, die durch die humanitäre Bedeutung des zu lösenden Problems vorgegeben sind.
  7. Es ist für ausreichende Vorbereitung und geeignete Vorrichtungen Sorge zu tragen, um die Versuchsperson auch vor der geringsten Möglichkeit von Verletzung, bleibendem Schaden oder Tod zu schützen.
  8. Der Versuch darf nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen durchgeführt werden. Größte Geschicklichkeit und Vorsicht sind auf allen Stufen des Versuchs von denjenigen zu verlangen, die den Versuch leiten oder durchführen.
  9. Während des Versuches muss der Versuchsperson freigestellt bleiben, den Versuch zu beenden, wenn sie körperlich oder psychisch einen Punkt erreicht hat, an dem ihr seine Fortsetzung unmöglich erscheint.
  10. Im Verlauf des Versuchs muss der Versuchsleiter jederzeit darauf vorbereitet sein, den Versuch abzubrechen, wenn er aufgrund des von ihm verlangten guten Glaubens, seiner besonderen Erfahrung und seines sorgfältigen Urteils vermuten muss, dass eine Fortsetzung des Versuches eine Verletzung, eine bleibende Schädigung oder den Tod der Versuchsperson zur Folge haben könnte.
Proteste in Wien gegen Corona-Lockdown und Impfungen
 DEMO - Demonstration gegen Corona Massnahmen Wien, Ring, 20. 11. 2021 Demonstration gegen Corona Massnahmen und die Regierung *** DEMO Demonstration against Corona Measures Vienna, Ring, 20 11 2021 Demonstration against Corona Measures and the Government

Ein großer Protestzug, der gegen einen Lockdown und Impfungen demonstrierte, legte am Samstagnachmittag weite Teile des Verkehrs in der Wiener Innenstadt lahm.

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Corona-Impfstoffe wurden zu Beginn an Tieren getestet

Der Nürnberger Kodex bezieht sich primär auf medizinische Versuche am Menschen. Diese wurden auch im Zusammenhang mit den Corona-Impfstoffen durchgeführt – und zwar unter Einhaltung der oben genannten Grundsätze.

Alle Vakzine haben zuerst toxikologische Studien absolviert. Das heißt, sie wurden an Tieren wie Mäusen und Ratten getestet, um ihre Verträglichkeit zu prüfen. Damit haben die Hersteller den dritten Grundsatz des Nürnberger Kodex eingehalten.

Genehmigungsverfahren vor klinischen Studien notwendig

Anschließend wurden die Impfstoffe in klinischen Studien am Menschen untersucht. Um solche Tests durchführen zu können, müssen die Hersteller ein strenges, mehrstufiges Genehmigungsverfahren durchlaufen.

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In Deutschland müssen Arzneimittelentwickler etwa einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder beim Paul-Ehrlich-Institut stellen. Die Behörden prüfen dann nicht nur die Ergebnisse der Tierversuche, sondern auch die Patienteninformationen und die Einwilligungserklärung, die die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer später erhalten. Zudem braucht es für klinische Studien die Zustimmung der zuständigen Ethikkommission. Erst wenn alle diese Stationen abgeschlossen sind, können die Hersteller damit beginnen, ihre Impfstoffe am Menschen zu testen.

Probandinnen und Probanden sind Freiwillige

Ähnlich sind auch die Genehmigungsverfahren in anderen Ländern konzipiert. In Österreich müssen klinische Tests am Menschen beispielsweise zuerst vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen und von der zuständigen Ethikkommission genehmigt werden. Arzneimittelentwickler, die ihr Vakzin in klinischen Studien in den USA testen wollen, brauchen dafür ebenfalls eine Erlaubnis – und zwar von der Arzneimittelbehörde FDA.

Das heißt: Kein Corona-Impfstoff wird am Menschen getestet, ohne dass nicht zuvor von den Behörden sichergestellt ist, dass er sich im Tierversuch als sicher und verträglich erwiesen hat. So soll verhindert werden, dass die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer, die sich freiwillig für die Tests melden, einen größeren Schaden durch die Impfungen erleiden. Ein Verstoß gegen den Nürnberger Kodex liegt also nicht vor.

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Impfstoffe sind getestet und von Behörden autorisiert

Auch bei der breiten Anwendung der Corona-Impfstoffe wurden die 1947 gefassten Grundsätze beachtet. Denn bevor die Arzneimittelbehörde EMA die Wirkstoffe in Europa zugelassen hat, wurden sie an mehreren Tausend Freiwilligen getestet – unter Einhaltung des Kodex –, um sicherzustellen, dass der Nutzen der Vakzine größer ist als die damit verbundenen Risiken. Nachdem die EMA die Ergebnisse der klinischen Tests ausgewertet hatte, kam sie zu eben diesem Schluss.

Insgesamt erfüllen die Corona-Impfungen also die Grundsätze des Nürnberger Kodex. Als Argumentationsbasis gegen eine verpflichtende Impfung eignen sie sich tatsächlich aber nicht, denn sie sind vielmehr als Leitlinie für medizinische Versuche gedacht.

Ein Massenexperiment stellen die Corona-Impfungen jedoch in keiner Weise dar. Die Impfstoffe, die weltweit zum Einsatz kommen, sind vielfach getestet und von den Arzneimittelbehörden autorisiert worden. Dass sie wesentlich mehr nützen als schaden, belegen inzwischen auch mehrere internationale Studien.

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