Ein Teilnehmer einer Anti-Corona-Demo am 31.1. in Wien: Für diesen Tag war eine Kundgebung der FPÖ geplant, die von der Polizei – wie viele andere Kundgebungen an jenem Wochenende – untersagt wurde. Das Verwaltungsgericht Wien hat nun entschieden, dass diese Untersagung zu Unrecht erfolgte.

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Es ging alles sehr schnell vor dem letzten Wochenende im Jänner: Am Freitag wurden von 17 angemeldeten Kundgebungen 15 durch die Landespolizeidirektion Wien untersagt – aus Protest an dieser Entscheidung meldete die FPÖ noch am gleichen Tag eine Kundgebung für Sonntag an, aber auch diese wurde durch die Landespolizeidirektion untersagt. Die FPÖ reagierte verärgert, wich ins Internet aus und hielt dort einen Livestream mit dem Titel "Für die Freiheit" ab – und legte Beschwerde gegen die Untersagung ein.

Das Verwaltungsgericht Wien hat dieser Beschwerde bereits letzte Woche stattgegeben, das entsprechende Dokument liegt dem STANDARD vor.

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl sieht in dem Urteil eine "höchst erfreuliche Neuigkeit". Nach "diesem klaren Spruch" stehe fest, "dass künftig Versammlungen und Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen nicht mehr untersagt werden können".

Wieso die Veranstaltung überhaupt verboten wurde

Aber der Reihe nach – zur Begründung der Untersagung. Einerseits wurde diese mit der erwartbar hohen Teilnehmerzahl begründet. In der Versammlungsanzeige nannte die FPÖ 2.000 zu erwartende Teilnehmer, die Landespolizeidirektion war aber der Ansicht, dass eher "mehrere Tausend Personen" zu erwarten seien und diese sich außerdem zu großen Teilen nicht an Abstandsregel oder Maskenpflicht halten würden. Als Quelle dafür werden in der Begründung Medienberichte von vergangenen Veranstaltungen genannt.

Woher die Polizei wissen will, dass sich die Leute nicht an die Regeln halten? In dem Zusammenhang nennt die Behörde auch einen Aktenvermerkt des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismus (LVT) für die Demos am 30. und 31. Jänner als Grund. Darin steht: Weil in letzter Zeit sämtliche Kundgebungen untersagt worden seien, die von Personen angemeldet wurden, die zuvor massiv gegen Covid-19-Maßnahmen verstoßen hätten, würden die "bekannten, federführenden Akteure der Szene" (gemeint sind Maßnahmenkritiker, Corona-Leugner etc., Anm.) unbekannte "Strohmänner" vorschicken, um aufgrund der Unbescholtenheit des Anmelders eine behördliche Untersagung zu umgehen.

Die Landespolizeidirektion zitierte für ihre Absage an die FPÖ außerdem eine eingeholte Stellungnahme des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien – darin macht die Behörde auf die gestiegene Gefahr durch die britische Mutation aufmerksam und führt als Beleg die aktuellen Berichte der Corona-Kommission an. Fazit: Die Abhaltung würde eine Gefährdung im Hinblick auf das öffentliche Wohl darstellen.

Zu früh eingeholte Infos

Das Wiener Verwaltungsgericht merkt in der Begründung für die Entscheidung nun an, dass sowohl die Stellungnahme des LVT als auch die Information des Gesundheitsdienstes ganz allgemein ergangen seien "und vor allem vor der Anzeige einer beabsichtigten Veranstaltung durch die FPÖ". Die Antworten würden also "in keiner Weise" die konkrete Versammlung der FPÖ berücksichtigen.

Es mangle dem Bescheid aber auch aus anderen Gründen an einer haltbaren Begründung für eine Untersagung. Der Richter zerpflückt förmlich die Stellungnahme des Wiener Gesundheitsdiensts.

Richter mit umfassender Kritik an Gesundheitsdienst ...

Einerseits wird kritisiert, dass der in der Stellungnahme, die in der gerichtlichen Entscheidung "Information" genannt wird, die Wörter "Fallzahlen, Testergebnisse, Fallgeschehen sowie "Anzahl an Infektionen durcheinanderwerfe", das werde einer wissenschaftlichen Beurteilung der Seuchenlage nicht gerecht.

Auch mit dem Verweis auf die Corona-Kommission ist das Gericht nicht zufrieden. Der Richter begründet: "Es ist mangels Angaben nicht nachvollziehbar, ob die dieser Empfehlung zugrundeliegenden Zahlen nur jene Personen enthalten, die nach den Richtlinien der WHO zur Interpretation von PCR-Tests vom 20.01.2021 untersucht wurden, Konkret ist nicht ausgewiesen, welchen CT-Wert ein Testergebnis hatte, ob ein Getesteter ohne Symptome erneut getestet und anschließend klinisch untersucht wurde." PCR-Tests würden laut WHO "nichts zur Krankheit oder einer Infektion eines Menschen" aussagen.

... und am Gesundheitsminister

Der Richter geht dann sogar noch weiter und merkt an, dass auch die Definitionen des Gesundheitsministers dazu, wann man als "bestätigter Fall" gilt, unzureichend. Denn am 23.12. habe das Gesundheitsministerium "1) jede Person mit Nachweis von Sars-CoV-2 spezifischer Nukleinsäure (PCR-Test, Anm, ), unabhängig von klinischer Manifestation oder 2) jede Person, mit Sars-CoV-2 spezifischem Antigen, die die klinischen Kriterien erfüllt oder 3) jede Person, mit Nachweis von Sars-CoV-spezifischem Antigen, die die epidemiologischen Kriterien erfüllt", ein solcher. Keiner dieser drei Kriterien würde die "Erfordernisse des Begriffs 'Kranker/Infizierter' der WHO erfüllen. Nebenbei bemerkt der Richter auch noch, dass Antigentests "bei fehlender Symptomatik hochfehlerhaft sind." Die Stellungnahme des Gesundheitsdienstes könne, so das Fazit, "keine validen und evidenzbasierten Aussagen und Feststellungen" bieten.

Zur rechtlichen Beurteilung "einer nicht verwertbaren Information zur Seuchenlage" sowie der Einschätzung des LVT sei ergänzend auszuführen, dass bloße allgemeine Befürchtungen nicht ausreichen für eine Untersagung einer Versammlung.

Auswirkungen des Entscheids

Können auf Basis der Entscheidung im Wiener Verwaltungsgericht nun, wie Herbert Kickl meint, keine Demonstrationen und Kundgebungen mehr untersagt werden?

Verwaltungsrechtsprofessor Peter Bußjäger wiegelt ab: "Wir sind hier noch in der ersten Instanz, es ist weder gesagt, dass ein Gericht in Oberösterreich gleich entscheiden muss, nicht einmal, dass am gleichen Gericht in Wien gleich entschieden wird, ist sicher."

Klar sei aber auch, dass die Entscheidung ein Erfolg für die FPÖ sei. "Sollte die Entscheidung nicht angefochten werden, dann hat das schon Konsequenzen", sagt Bußjäger. "Denn dann ist diese Rechtsmeinung da – jeder Veranstalter wird sich auf diese Erkenntnis berufen." Die Verwaltungsbehörden würden dann entscheiden müssen, ob sie von der Rechtsauffassung ebenfalls überzeugt sind oder nicht.

"Kühne" Passagen

"Erstaunlich" findet Bußjäger, dass das Verwaltungsgericht "sich so weit hinauslehnt" und die Grundlagen der Corona-Risikobeurteilung hinterfragt. Das sei vor allem deshalb erstaunlich, weil aus der Entscheidung nicht herauszulesen ist, dass das Verwaltungsgericht ein Gutachten dazu eingeholt hätte. "Wenn ich diese Dinge hinterfrage, was ich als Gericht natürlich darf, brauche ich einen Sachverständigen. Das selber zu machen halte ich durchaus für kühn."

Da das Verwaltungsgericht eine Revision für unzulässig erklärt hat, kann die Landespolizeidirektion Wien nur noch eine außerordentliche Revision verfolgen: Sie müsste vor dem Verwaltungsgerichtshof erklären, dass es sich hier um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung handelt – die Entscheidung liegt dann beim Verwaltungsgerichtshof. (Lara Hagen, 31.3.2021)